Werden wegen des Klimawandels weniger Buben geboren?
Konkret könnten in Gebieten, in denen die Temperaturen steigen, mehr Buben zur Welt kommen. In Regionen, in denen der Klimawandel andere Umweltfolgen bedingt, etwa Dürre oder Waldbrände, könnten hingegen weniger Buben geboren werden.
Ein Team von Wissenschaftern rund um den Mediziner Misao Fukuda konnte bereits 2014 belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen Temperaturschwankungen und einem geringeren Anteil an geborenen Buben gibt. Analysiert wurden Temperaturunterschiede und Geburtenraten zwischen 1968 und 2012.
"Die jüngsten Temperaturschwankungen in Japan scheinen mit niedrigeren männlichen Geburtenraten bei Neugeborenen einherzugehen, teilweise aufgrund einer erhöhten Zahl von Fehlgeburten", schrieben die Forscher damals in ihrem Bericht. Die Embryonalentwicklung scheine "besonders anfällig für äußere Einflüsse zu sein".
Stressfaktoren
Vergangenen Sommer veröffentlichten die Forscher eine weitere Studie, in der man die Geburtenraten in von Erdbeben betroffenen Regionen in Japan zu unterschiedlichen Zeitpunkten analysierte.
Neun Monate nach den Beben sank die Zahl der geborenen Buben in allen Regionen zwischen sechs und 14 Prozent – verglichen mit demselben Zeitraum im Vorjahr. Die Daten untermauern den Forschern zufolge die Annahme, dass Stressfaktoren die Schwangerschaft und damit das Geschlechterverhältnis bei der Geburt beeinflussen. Belastungen, die von "Klimaereignissen durch globale Erwärmung" bedingt sind, könnten sich demnach auf das Geschlechterverhältnis auswirken.
Geschlechterverteilung
Weltweit kommen geringfügig mehr Buben als Mädchen zur Welt. Ursachenforschung haben diesbezüglich US-Forscher in einer im Jahr 2015 veröffentlichten Studie betrieben. Ihre Erkenntnis: Männliche Embryonen und Föten sterben seltener während der Schwangerschaft.
Zahlreiche Experten waren bis dahin davon ausgegangen, dass Buben Mädchen bereits bei der Empfängnis ausstechen, also mehr Schwangerschaften mit männlichen Föten entstehen. Laut den Forschern vom Fresh Pond Research Institute in Cambridge sei das Verhältnis bei Schwangerschaften aber tatsächlich ausgeglichen. Ausgewertet wurden zahlreiche Datenquellen, die etwas über das Geschlecht der Babys verraten, unter anderem Statistiken zu Lebend- und Totgeburten in den USA, sowie Angaben zu Fehlgeburten, Abtreibungen und pränatale Untersuchungen.
Die Analyse ergab, dass zunächst gleich viele männliche wie weibliche Schwangerschaften entstehen. Allerdings seien männliche Embryos häufiger genetisch auffällig, sodass in der ersten Woche nach der Befruchtung auch mehr männliche Embryos abgehen. In den nächsten zehn bis 15 Wochen seien wiederum die weiblichen Abgänge zahlreicher. Gegen Ende der Schwangerschaft kehre sich das Verhältnis wieder um.
In Summe bedeutet das: Die gesamte Schwangerschaft überleben mehr männliche Embryos – daher die leichte statistische Schieflage.
Mehr Mädchen in schlechten Zeiten
Bereits 2014 hatten Forscher von der Universität Exeter berichtet, dass späte Fehlgeburten bei Jungen häufiger vorkommen als bei Mädchen. Das Risiko sei rund zehn Prozent höher, berichteten sie damals im Fachjournal BMC Medicine. Sie hatten mehr als 30 Millionen Geburten weltweit in ihre Analyse einbezogen.
Allerdings scheinen Umweltbedingungen das Geschlechterverhältnis zu beeinflussen. So kamen US-Wissenschafter 2013 zu dem Ergebnis, dass in Hungerphasen mehr Mädchen als Jungen geboren werden. Sie hatten die Daten von Neugeborenen analysiert, die während und nach der großen Hungersnot in China zwischen 1959 und 1961 zur Welt kamen.
Komplexe Effekte
Fukuda betont, dass die vermuteten Auswirkungen des Klimawandels "möglicherweise nicht einheitlich" seien. "Es kann von verschiedenen Umweltfaktoren an dem jeweiligen Ort abhängen", sagte er gegenüber CNN. "Extrem heißes oder kaltes Wetter" beeinflusse das Geschlechterverhältnis allerdings am deutlichsten, während moderate Veränderungen nicht immer einen Effekt zeigten. Bei der Erdbebenstudie waren die Effekte zudem nicht von Dauer: Das Geschlechtsverhältnis von Neugeborenen normalisierte sich in den betroffenen Regionen innerhalb weniger Monate wieder.
Wie sich stressbedingte Belastungen genau auf die Schwangerschaft auswirken, sei noch ungeklärt. Denkbar sei laut Fukuda, dass Samenzellen mit Y-Chromosomensatz, männliche Embryos und Föten empfindlicher seien.
Letztendlich sei die Bedeutung des Geschlechtsverhältnisses bei der Geburt ohnehin weniger gesellschaftlicher und vielmehr medizinischer Natur. Es sei jedenfalls ein "sensibler Indikator für reproduktive Gesundheit".