Wissen/Gesundheit

Von Klostermedizin bis Pflanzenheilkunde: Mehr Bewusstsein für Traditionelle Europäische Medizin

Als Rohkoststicks zum Knabbern, gerieben als Salat oder püriert als warme Suppe: Karotten sind - je nach Geschmack, Jahreszeit und Gusto - Multitalente. Sogar als Heilmittel sind sie einsetzbar. "Gekocht und püriert sind Karotten sehr gut sowohl gegen Durchfall und auch gegen Verstopfung einsetzbar", sagt Michaela Hauptmann. Sie beschäftigt sich im Rahmen der "Traditionellen Europäischen Medizin" (TEM) mit der Bedeutung der Ernährung für die Gesundheit des Menschen.

Symposium: Vielfältig von Klostermedizin bis Kneippen

Erst in den vergangenen Jahren gibt es ein Umdenken - etwa Klostermedizin einer Hildegard von Bingen wurde beliebt und auch die als etwas verstaubt geletenden Wasseranwendungen des Pfarrers Kneipp erleben eine Renaissance. Oder die Heilwirkung von Pflanzen, die Phytomedizin, wurde wieder neu entdeckt. 

Diese Woche beschäftigen sich etwa Experten bei einem Symposium am Semmering mit den verschiedensten Ansätzen. Und in der Vorwoche traf sich in Wien das TEM-Forum, eine europaweite Vereinigung, die TEM ihren Platz in der Gesundheitsversorgung einräumen will. Besonders im Bereich der Prävention können Anwendungen aus der TEM eine sinnvolle Ergänzung zur modernen westlichen Medizin sein, betont Steinmetz, auch Präsident des TEM-Forums.

Darunter versteht man Heilwissen, das im Raum Europa über Jahrhunderte und Jahrtausende entstanden ist. Aufzeichnungen etwa von griechischen und römischen Ärzten wie Hippocrates oder Galen, später aus Klöstern wie von Hildegard von Bingen, später der Arzt Paracelsus und im 19. Jahrhundert die Wasser-Anwendungen des Arztes Sebastian Kneipp zeigen, wie lange diese zurückreichen. 

Eine Basis ist etwa die Vier-Säfte-Lehre, als deren Gründer Hippocrates und Galen gelten. Dazu zählen die Körpersäfte sanguis (Blut), phlegma (Schleim), cholé (Gelbgalle) und melancholé (Schwarzgalle) mit den dazugehörigen Temperamenten/Archetypen Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melancholiker.

Mit der Entwicklung der modernen Medizin ab dem 19. Jahrhundert gerieten die Heilmethoden zunehmend in Vergessenheit oder wurden im Bereich der überlieferten Volksmedizin angewendet. 

Heute wird  die moderne TEM mit fünf Teilbereichen zusammengefasst: Diätetik (Ernährung), körperliche Aktivität, Phytotherapie (Pflanzenheilkunde), manuelle Therapien, Spiritualität (geistige und seelische Ausgeglichenheit). 

Die UNESCO nahm die Traditionelle Europäische Medizin in ihre Liste "Immaterielles Kulturerbe" auf. Unter anderem sind auf dieser Liste auch das Kneippen sowie das "Heilwissen der Pinzgauer:innen" vertreten.

Europäisches Heilwissen wird neu entdeckt

Unter TEM versteht man das traditionelle, europäische Heilwissen. Seit etwa 500 v. Chr. gibt es Aufzeichnungen darüber. „Jahrhundertealtes heimisches Heilwissen, das unter dem Begriff Traditionelle europäische Medizin (TEM) angewendet wird, ist bei vielen noch unbekannt“, sagte Medizinhistoriker Karl-Heinz Steinmetz.  Michaela Hauptmann erinnert daran, dass vieles, das man etwa von Mutter oder Oma noch als Hausmittel kennt, im Lauf des Lebens in Vergessenheit gerät. Gerade bei den jüngeren Generationen. "Es ist paradox: Viele lieben den Retro-Trend bei Mode oder Möbeln, aber für die Gesundheit wird das alte traditionelle Heilwissen nicht genutzt."

Das Potenzial der Ernährung nutzen

Vor allem die Ernährung hat dafür enormes Potenzial - und sie zeigt, dass alle großen Heilsysteme dieser Welt gar nicht so weit auseinander liegen. Die meisten Therapien der klassischen Medizin in der westlichen Welt betreffen mittlerweile die Behandlung von Zivilisationserkrankungen wie Übergewicht oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen - und auch diese sind eine Folge falscher Ernährung. Manche Untersuchungen gehen davon aus, dass rund 70 Prozent aller Erkrankungen darauf basieren.

Zwei Tage lang informieren Experten zu verschiedenen Aspekten und mit Workshops der Traditionellen Europäischen Medizin. Anmeldungen sind noch möglich, Infos und Anmeldung: https://www.regionderwege.at/symposium-tem/

Verbindung zu Spitzenmedizin, TCM und Ayurveda

"Alle großen Heilmethoden bauen auf Ernährung auf", betont TEM-Ernährungsexpertin Hauptmann. In der TCM als auch im Ayurveda werde etwa mit wärmenden oder kühlenden Lebensmitteln und Gewürzen auf die individuelle Konstitution eines Menschen Rücksicht genommen. Vereinfacht gesagt, orientiere man sich in der TEM unter anderem an den Temperamenten Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker. " 

Wonach der Körper verlangt

Und hier schließt sich der Kreis zur Karotte. "Über deren Geschmack und die Zubereitung lässt sich die Wirkung gut erklären." Die meisten Menschen würden zwar eine pürierte Suppe wohliger als Rohkost für ihren Körper empfinden, manchmal ist aber auch "etwas Knackiges zum Beißen" angebracht. Oder es ist der erdig-holzige Geschmack einer rohen Karotte, mitunter mit einem Hauch von Schärfe gefragt.

Die süßlichen Geschmacksnoten, die viele an der Karotte so lieben, entwickeln sich allerdings erst durch das Kochen. Angst, einer Karottensuppe überdrüssig zu werden, muss man aber nicht haben. "Man kann sie grillen, braten oder gekocht zu Aufstrich verarbeiten." Und sogar als süßes Frühstück machen sich Karotten gut. Dafür muss man sie nur lang dünsten und mit Rosinen und Früchten aufpeppen.