Wissen/Gesundheit

Schmerzen: So lange müssen Patienten auf aussagekräftige Diagnose warten

Schmerzpatienten müssen im Schnitt eine eineinhalb- bis zweijährige Odyssee auf sich nehmen, bis sie zu einer aussagekräftigen Diagnose kommen. Und fast jeder Fünfte bekommt überhaupt keine. Das sagte Dienstag der Schmerzspezialist Rudolf Likar vom Klinikum Klagenfurt, Generealsekretär der Österreichischen Schmerzgeselllschaft, im Vorfeld der "Österreichischen Schmerzwochen".

Der Hauptgrund dafür: "Die bestehende Versorgungsstruktur kann nicht für alle Betroffenen eine rasch einsetzende und auf die individuellen Bedürfnisse angepasste Schmerztherapie garantieren." 3,6 Millionen Menschen in Österreich haben - laut der jüngsten Gesundheitsbefragung der Statistik Austria - im Laufe der vergangenen vier Wochen unter Schmerzen gelitten. "Geschätzte 500.000 bis 600.000 Personen sind hierzulande durch chronische Schmerzen erheblich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt."

Lange Wartezeiten in der Schmerzversorgung verschlechtern nachweislich den Gesundheitszustand von Menschen mit chronischen Beschwerden weiter, betont Likar: "Ihre Schmerzen intensivieren sich, gleichzeitig verschlechtert sich ihre Lebensqualität bis hin zur Depression." Akute Schmerzen müssen sofort behandelt werden und schwere Schmerzzustände mit dem Risiko einer Verschlechterung und Chronifizierung sollten innerhalb einer Woche behandlet werden.

Bei Schmerzen mit dem Risiko von funktionalen Einschränkungen - etwa Rückenschmerzen oder fortdauernde Schmerzen nach Operationen oder Verletzungen - sollte die Therapie innerhalb eines Monats beginnen. Und langfristig anhaltende Schmerzen (ohne deutliche Steigerung der Intensität) sollten spätestens innerhalb von acht Wochen versorgt werden.

Rückenschmerz: Zu viele Operationen

Bei fast jedem Zweiten, der unter Schmerzen leidet, ist der Rücken betroffen. In Deutschland haben laut einer Studie innerhalb von zehn Jahren Wirbelsäulen-Operationen um 71 Prozent zugenommen, sagte Dienstag die Schmerzspezialistin Waltraud Stromer vom Landesklinikum Horn, NÖ, Vizepräsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft. Sehr oft seien sie medizinisch aber nicht erforderlich und könnten sehr gut durch konservative (nicht-operative) Behandlungsmethoden ersetzt werden.

Die Studienautoren boten im Auftrag mehrerer gesetzlicher Krankenkassen Rückenschmerz-Patienten mit bereits fixiertem OP-Termin im Rahmen eines Zweitmeinungsverfahrens die Möglichkeit, die OP-Indikation und konservative Therapiealternativen zu überprüfen:

Bei 3.824 Patienten wurde nur in 7,7 Prozent die Notwendigkeit der Operation bestätigt.Bei 44,9 Prozent der Patienten wurde alternativ eine besondere Versorgung im Rahmen eines ambulanten multimodalen Intensivprogramms empfohlen, bei 47,4 die Fortführung der Behandlung als ausreichend angesehen.

Es zeigte sich, dass in neun von zehn Fällen die Absage der Operation endgültig war und die OP nicht nachgeholt wurde musste.

Stromer: "Die Studienautoren raten daher, die Indikation zur operativen Intervention bei Rückenschmerzen kritisch zu hinterfragen und das Einholen einer Zweitmeinung durch ein erfahrenes, interdisziplinär besetztes Team konservativ tätiger Schmerzspezialisten zur gesetzlich verpflichtenden Voraussetzung zu machen."

Wundermittel Bewegung

"Bewegung ist geradezu ein Wundermittel gegen chronische Schmerzen", betont Nenad Mitrovic vom Salzkammergut-Klinikum in Vöcklabruck, Präsident der Schmerzgesellschaft: "Menschen im Erwerbsalter entwickeln seltener chronische Schmerzen, wen sie drei- bis fünfmal pro Woche trainieren."Regelmäßige körperliche Aktivität senkt nachweislich das Risiko für Arthrosen von Hüfte oder Knie, ebenso das Risiko für Schmerzen im unteren Rücken.

Wie eine aktuelle Metastudie mit insgesamt über 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigt, hilft körperliches Training wirksam, die Wahrscheinlichkeit für das Wiederauftreten von Beschwerden im unteren Rückenbereich zu reduzieren.

Auch ab dem 50. Lebensjahr scheint regelmäßige Bewegung ein Schutz gegen chronische Schmerzen zu sein. Eine englische Langzeitstudie mit rund 2.600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kam zu dem Ergebnis, dass "Kraftkammer und Kultur" chronischen Schmerz reduzieren können. Das Forscherteam hat über eine Dekade Menschen ab 50 begleitet, die zu Studienbeginn noch keine chronischen Schmerzen hatten. 42 Prozent davon entwickelten im Studienzeitraum chronische Schmerzen, wobei Frauen deutlich stärker betroffen waren. Probanden, die einmal wöchentlich ein intensives Training absolvierten, waren besser geschützt. Moderate Bewegung einmal pro Woche hingegen schien nicht auszureichen.

Neben Bewegung wurde auch die Teilnahme an kulturellen Veranstaltngen wie Museums- oder Konzertbesuche als vorbeugende Maßnahme gegen chronische Schmerzen identifiziert, vermutlich, weil sie moderate Bewegung, soziales Leben und geistige Herausforderung verknüpfen und für Wohlbefinden sorgen.

Info-Blatt für Patienten

Für Patienten hat die Österreichische Schmerzgesellschaft ein neues Info-Blatt mit dem Titel "Schmerzen vorbeugen - Schmerzen behandeln" aufgelegt. Es kann kostenlos hier heruntergeladen werden.