Wissen/Gesundheit

Medizin-Nobelpreis für einen Mechanismus zur Regulation der Gene

Die diesjährigen Preisträger des Nobelpreises für Medizin und Physiologie sind die beiden US-Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun. Ambros, geboren 1953 in Hanover, New Hampshire, ist Biologe an der University of Massachusetts Medical School in Worcester, Massachusetts. Ruvkun, geboren 1952 in Berkeley, Kalifornien, ist Professor für Genetik an der Harvard Medical School

Sie erhalten die renommierte Auszeichnung für "die Entdeckung von microRNA und ihre Rolle bei der postranskriptionellen Genregulation". Sie stellten sich die Frage, wie es möglich ist, dass jede Zelle des Körpers die gleichen Chromosomen und damit die gleiche Erbgutinformation enthält, sie sich aber dennoch wesentlich voneinander unterscheiden. Verschiedene Zelltypen, etwa Muskel- und Nervenzellen, weisen sehr unterschiedliche Eigenschaften auf.

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Die Antwort liegt in der sogenannten Genregulation, die es jeder Zelle ermöglicht, die für sie relevanten Anweisungen aus der DNA auszuwählen. Durch die Genregulation wird sichergestellt, dass in jedem Zelltyp nur der richtige Satz an Genen aktiv ist. Schon in den 1960er Jahren wurden sogenannte Transkriptionsfaktoren entdeckt, die an dieser Steuerung beteiligt sind.

Ambros und Ruvkun entdeckten jedoch erst in den 1990er Jahren microRNAs, kleine Ribonukleinsäure-Moleküle. Sie steuern die Aktivität der Gene in unseren Zellen. Die kurzen RNA-Moleküle, die im Gegensatz zu gewöhnlichen RNA-Strängen nicht in Proteine übersetzt werden, lagern sich an andere RNA-Moleküle an. Dadurch verhindern sie deren Übersetzung in Proteine. 

Neue Klasse winziger RNA-Moleküle

Victor Ambros und seine Arbeitsgruppe berichteten 1993 über die erste microRNA. Sie erforschten die Mechanismen am Modell des Fadenwurms Caenorhabditis elegans (kurz C. elegans). Zunächst erhielten die Entdeckungen jedoch keine große Aufmerksamkeit, da sie für Besonderheiten des Fadenwurms gehalten wurden. Erst als Gary Ruvkun im Jahr 2000 eine zweite microRNA beschrieb und gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe über Hunderte weitere microRNAs bei verschiedenen Spezies berichtete, gelang der Durchbruch.

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"Ihre bahnbrechende Entdeckung enthüllte ein völlig neues Prinzip der Genregulation, das sich als essenziell für vielzellige Organismen, einschließlich des Menschen, erwies. Mittlerweile ist bekannt, dass das menschliche Genom für über tausend microRNAs kodiert. Ihre überraschende Entdeckung enthüllte eine völlig neue Dimension der Genregulation. MicroRNAs erweisen sich als von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung und Funktion von Organismen", heißt es in der Erklärung des Kommittees.

Genetiker Hengstschläger: "Nobelpreis absolut verdient"

„Der Nobelpreis ist absolut verdient“, sagt der Genetiker Markus Hengstschläger, Leiter des Zentrums für Pathobiochemie und Genetik an der Medizinischen Universität Wien. „Bei den ausgezeichneten Forschungen handelt sich um ein Grundprinzip in der Steuerung der Gen-Aktivität.“

Die menschliche Erbsubstanz (DNA) beinhaltet etwa 22.000 Gene. Die genetische Information in der DNA wird zuerst in sogenannte RNA (Ribonukleinsäure) und schließlich in Proteine umgesetzt – die unter anderem die Entstehung und Funktion verschiedenen Zelltypen im Körper gewährleisten.

„In verschiedenen Zelltypen sind verschiedene Gene aktiv“, erklärt Hengstschläger und gibt ein Beispiel: „Bestimmte Gene, die in einer Nervenzelle abgeschaltet sind, sind in einer Muskelzelle aktiviert. Dafür sind dort wiederum andere Gene nicht aktiv.“

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Einer von mehreren Mechanismen, der steuert, aus welchen Genen wann Proteine hergestellt werden und welche Zelltypen sich schließlich entwickeln, sind sogenannte microRNAs.  Diese kleinen Moleküle können sich an RNA anlagern und dadurch verhindern, dass sie zu einem Protein wird. „Die microRNAs können bedingen, dass bestimmte RNA-Moleküle nicht übersetzt oder sogar abgebaut werden und das entsprechende Protein dann nicht entstehen kann.“

Hoffnung auf neue Therapien

Hengstschläger betont, dass dieser Prozess auch bei der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen kann: microRNAs können auch zu einer Deregulation von Genen führen wenn etwa Gene, die eigentlich aktiv übersetzt werden sollten, nicht zur Produktion von Proteinen führen und dadurch Zellen nicht richtig funktionieren können.

Erste Studien prüfen, ob sich microRNAs zur Therapie etwa von Krebs- oder Herzerkrankungen (zum Beispiel Herzschwäche eignen). Zulassungen gibt es aber noch keine.

Genetiker Hengstschläger erläutert auch den Unterschied zwischen microRNA und messengerRNA: „Messenger RNAs (mRNAs, Boten-RNAs) entstehen entsprechend der DNA und die in ihr enthaltene genetische Information wird dann bei der Entstehung eines Proteins umgesetzt, das eine wichtige Funktion z.B. eben in ganz bestimmten Zellen hat. microRNAs koppeln an messenger RNAs, steuern dadurch ihren Abbau und verhindern so, dass die entsprechenden Proteine entstehen.“

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Erste Reaktionen: Ruvkun wurde aus dem Schlaf geholt, Ambros war nicht erreichbar

Ruvkun freute sich sehr, als er von Thomas Perlmann vom Nobelpreiskomittee über die Auszeichnung sehr zeitig in der Früh informiert wurde. Der Anruf wurde zuerst von seiner Frau entgegen genommen, es habe "lange gedauert" bis schließlich Ruvkun ans Telefon kam, da sie ihn zunächst wecken musste. "Er war sehr müde, aber sobald er verstanden hatte, worum es geht, war er sehr aufgeregt und glücklich. Auch seine Frau war sehr enthusiastisch und sie haben sich sehr gefreut", sagte Perlmann. Und Ambros konnte er zunächst einmal gar nicht erreichen - er sprach ihm eine Nachricht auf die Mailbox. 

Ruvkun war erst vergangene Woche in Wien

Ruvkun war übrigens erst vergangene Woche zu Besuch in Wien: Er ist ein Mitglied des „Scientific Advisory Board“ des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften. 

Es handle sich um die "Entdeckung eines grundlegenden Prinzips, das die Regulierung der Genaktivität regelt", erläuterte das Karolinska-Institut in Stockholm. Die Verkündung der Auszeichnung für Medizin bildet traditionell den Auftakt für die Nobelpreis-Woche.

Im Vorjahr wurde der Nobelpreis an die Pioniere der Corona-Impfstoffentwicklung, Katalin Karikó und Drew Weissman, vergeben. 

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Die Nobelversammlung des Stockholmer Karolinska-Instituts gibt jedes Jahr Anfang Oktober bekannt, wem sie den renommierten Preis in diesem Jahr zuspricht.

Mit der Bekanntgabe in der Preiskategorie Physiologie oder Medizin wird traditionell die alljährliche Nobelpreis-Saison eingeläutet. Am Dienstag und Mittwoch werden die Nobelpreisträger in den Kategorien Physik und Chemie auserkoren, ehe am Donnerstag der Literaturnobelpreis folgt. Am Freitag wird dann der Friedensnobelpreis vergeben - er ist der einzige der Nobelpreise, der nicht in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo vergeben wird.

In Stockholm folgt zum Abschluss Anfang kommender Woche der Nobelpreis in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften. Er geht als einzige der Auszeichnungen nicht auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) zurück.

Feierlich überreicht werden alle Nobelpreise traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember. Dotiert sind die Auszeichnungen in diesem Jahr erneut mit elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) pro Kategorie. Teilen sich zwei Preisträger die Ehrung, wird dieses Preisgeld unter ihnen aufgeteilt.

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Die Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen Jahre

2023: Die in Ungarn geborene Forscherin Katalin Karikó und der US-Amerikaner Drew Weissman erhalten den Nobelpreis für Medizin "für grundlegende Erkenntnisse in der Entwicklung der RNA-Technologie". Diese führten zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen das 2020 erstmals aufgetauchte Corona-Virus.
2022: Der in Leipzig arbeitende schwedische Forscher Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorbenen Verwandten. Er hat unter anderem als erster das Genom des Neandertalers sequenziert.
2021: David Julius (USA) und der im Libanon geborene Forscher Ardem Patapoutian. Sie haben Zellrezeptoren entdeckt, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.
2020: Harvey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA), die maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen hatten.
2019: William Kaelin (USA), Peter Ratcliffe (Großbritannien) und Gregg Semenza (USA). Sie hatten herausgefunden, wie Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen.
2018: Der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo für die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs.
2017: Die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der Inneren Uhr.
2016: Der Japaner Yoshinori Ohsumi, der das lebenswichtige Recycling-System in Körperzellen entschlüsselt hat.
2015: Die Chinesin Youyou Tu, die den Malaria-Wirkstoffs Artemisinin entdeckt hat. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.
2014: Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe (USA/Großbritannien) für die Entdeckung eines Navis im Hirn: Sie fanden grundlegende Strukturen unseres Orientierungssinns.
2013: Thomas Südhof (gebürtig in Deutschland) sowie James Rothman (USA) und Randy Schekman (USA) für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen.