Wissen/Gesundheit

Multiple Sklerose: Wenn bereits Kinder erkranken

Ihre jüngste Patientin war achteinhalb Jahre alt, bei vielen stellt sie die Diagnose zwischen 12 und 16 Jahren: Die Neurologin Barbara Kornek ist an der MedUni Wien /AKH Wien Spezialistin für Multiple Sklerose (MS) bei Kindern und Jugendlichen.

Mit neuen, hochwirksamen Therapien könne „der Krankheitsverlauf sehr gut beeinflusst werden. Bei vielen Patienten sehen wir über Jahre kein Fortschreiten der Erkrankung“, betont Kornek.

Bei MS richtet sich das Abwehrsystem gegen die eigenen Nervenbahnen (Autoimmunreaktion). Die Ursache ist nicht eindeutig geklärt: Genetische Faktoren spielen eine Rolle (MS ist aber keine Erbkrankheit), ebenso gibt es Hinweise, dass bestimmte Infektionen (z.B. mit dem Epstein Barr Virus) beteiligt sein können.

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Neue Medikamente beeinflussen direkt das Immunsystem – die meisten sind allerdings nur für Erwachsene zugelassen. Seit Dezember hat eines der Präparate aber auch eine Zulassung für Kinder – die MedUni Wien war als einziges österreichisches Zentrum an einer internationalen Studie beteiligt. Der Wirkstoff reduziert die Anzahl von Abwehrzellen (Lymphozyten) im Blut und damit auch den Übertritt dieser Zellen in das Zentrale Nervensystem – der Entzündungsprozess, der zu den Schäden an den Nervenbahnen führt, wird damit gebremst oder sogar gestoppt.

Die Häufigkeit von Krankheitsschüben kann somit um 80 Prozent reduziert werden. Durch den Eingriff in das Immunsystem erhöht sich jedoch das Risiko für Infektionen, aber, so Kornek: „Schwere Infektionen sind bei Kontrolle des Therapieverlaufs extrem selten.“

"Kein Grund, keine Familie zu gründen"

Die Neurologen „ermutigen die Kinder und Jugendlichen, das weiter zu machen, was sie immer schon machen wollten: „Es gibt keinen Grund, keine Familie zu gründen oder sich nicht den Beruf auszusuchen, der einen immer schon interessiert hat.“ Auch Sport – sogar Leistungssport – ist meist kein Problem: „Im Gegenteil, er hat sogar positive Effekte auf den Krankheitsverlauf.“ Viele der Patientinnen, die Kornek seit deren Kindheit betreut, sind heute Mitte/Ende zwanzig und haben schon Kinder.

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Multiple Sklerose ist heute eine Krankheit, mit der man in den allermeisten Fällen sehr gut und mit keinen oder nur wenigen Beeinträchtigungen leben kann“, sagt auch Thomas Berger, Vorstand der Uni-Klinik für Neurologie der MedUni Wien: „Als ich vor 30 Jahren angefangen habe, hat es keine Therapiemöglichkeiten gegeben. 1994 kam die erste Interferon-Therapie, heute sind bereits 16 Medikamente zugelassen.“ Heute sei die Messlatte für den Therapieerfolg „keine Krankheitsaktivität“.

Das bedeutet: „Es gibt keine weiteren Krankheitsschübe und kein Fortschreiten der Erkrankung, also keine langsame Verschlechterung.“ Er habe viele Patienten, die seit zehn und mehr Jahren keine Schübe mehr haben.

Nach wie vor werde die Erkrankung in der Öffentlichkeit aber stigmatisiert, kritisiert Berger: „Das Bild von Menschen im Rollstuhl trifft heute auf die Mehrheit der Patienten nicht mehr zu. Das ist mittlerweile wirklich eine kleine Gruppe. Sehr vielen Patienten sieht man ihre Erkrankung nicht an.“ Und: „Sie haben eine ganz normale Lebenserwartung.“

Porträt: "Ich will trotz der Erkrankung das Leben genießen"

Es war vor zwölf Jahren. Markus Schmidt war damals 15 und bereits ein Leistungssportler. Weil er so sportlich war, dachte er sich auch zunächst nichts dabei, als  in einer Nacht in den Beinen und Armen Gefühls- und Sensibilitätsstörungen auftraten. Beugte er den Kopf zur Brust,  fühlte es sich an, „als würden Stromstöße durch mich fließen“.

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Die Diagnose war dann ein Schock: „Ich konnte das damals ja nicht einordnen.“

Vier Wochen war er im Spital, vier Wochen  hielten die Beschwerden in Armen und Beinen an. „Jeden Tag habe ich mir gedacht, das wird wieder, ich will wieder Fußballspielen, boxen, mit dem Moped fahren.“ Heute ist er mit Engagement Leiter einer Kfz-Werkstatt in Wien, ist nach wie vor sehr sportlich und lebt auch sonst sehr bewusst: „Ich rauche nicht, ernähre mich ausgewogen und versuche immer das Positive im Leben zu sehen.“  Seit zehn Jahren ist Schmidt ohne Krankheitsschub. Er wird mit Tabletten behandelt,  „das belastet mich nicht“.

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Unlängst hat er einen 40-jährigen MS-Patienten gefragt, wie es ihm denn geht: „Na wie soll es mir schon gehen, ist doch eh schon wurscht“, war die ernüchternde Antwort: „Aber wie soll der  Körper mit dieser  Einstellung  funktionieren?“ Schmidt versucht die Krankheiten anzunehmen: „Ich muss damit leben. Aber ich will trotzdem mein Leben genießen und tue – auch mit einer positiven Einstellung – alles dafür, damit das auch möglich ist.“

Er ist sehr dankbar dafür, heute ein gutes Leben führen zu können. „Und meine wichtigste Botschaft  ist: Man darf nie aufgeben.“

Fakten

MS ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark). Körpereigene Abwehrzellen zerstören die Fortsätze der Nervenzellen.

12.500 Menschen in Österreich sind von MS betroffen. Zumeist tritt die Erkrankung zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. 350  bis 400 Neuerkrankungen gibt es jährlich.

3 bis 5 Prozent der Patienten haben ihren ersten Schub vor dem 18. Lebensjahr.