Wissen/Gesundheit

Experten wollen mehr Selbstverantwortung für Pflegekräfte

Mit dem KURIER sprachen Michael Heinisch, Geschäftsführer der österreichischen Vinzenz Gruppe, und Michael Ewers, Leiter des Instituts für Pflegewissenschaften an der Berliner Charité, über die Brennpunkte im Pflegeberuf in Kliniken. 

KURIER: Welche Anstöße hat die Pandemie denn im Pflegebereich gegeben?

Michael Heinisch: In der Krise ist vor allem das Thema Arbeitsplatzsicherheit in den Fokus der Leute gerückt. Letztens hat eine Dame, die früher Flugbereiterin war, im Aufnahmegespräch für unsere Ausbildung erzählt, sie will nun einen Job, der absolut krisenresistent ist. Außerdem ist der Pflegeberuf auf jeden Fall eine abwechslungsreiche und sinnstiftende Aufgabe in der Gesellschaft. Und ich denke, das ist einigen klar geworden.

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Gleich zur Ausbildung, welche Stolpersteine gibt es da?

Michael Ewers: Die meisten Auszubildenden in Deutschland besuchen eine Schule deren Träger eine Klinik ist. Die Ausbildung ist dann oft an einen Vertrag in diesem Krankenhaus geknüpft. Die Auszubildenden sind dabei aber auch den „Verwertungsinteressen“ der Krankenhäuser unterworfen, das bedeutet sie können für bestimmte Dienste eingesetzt werden. Gerade jetzt in der Corona-Krise ist das eine große Debatte, statt zu lernen, müssen sie mitanpacken. Das gefährdet die Ausbildungssituation.

Heinisch: Handlungsbedarf in der Ausbildung besteht bei uns vor allem in puncto Digitalisierung, Praxis und Leistbarkeit. Online-Plattformen zum Beispiel müssen ein Standard sein.

Wie läuft die Finanzierung der Ausbildung?

Heinisch: Das Finanzielle wird oft zur Herausforderung: In der Ausbildung bekommt man ein sogenanntes Taschengeld – alleine mit diesem Begriff bin ich schon unglücklich. Davon kann niemand leben und viele Leute, die die Ausbildung machen, stehen aber schon mitten im Leben. Und die Verdienstaussichten, die man nach dieser mehrjährigen Ausbildung hat, wiegen das auch nicht auf.

Ewers: In Deutschland werden Pflege-Ausbildungen über einen Fonds finanziert, der wesentlich durch Sozialversicherungszahlungen gespeist wird. Das Medizinstudium hingegen finanzieren die Steuerzahler, das wird also von einer viel größeren Gruppe getragen. 

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Was muss sich im Pflegeberuf ändern?

Heinisch: Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss mehr Selbstverantwortung gegeben werden. Das sind hoch ausgebildete Arbeitskräfte, die viele Kompetenzen haben. Und ich habe den Eindruck, viele können ihre Qualifikation in der Praxis nicht wirklich umsetzen.

Ewers: In Deutschland haben wir ein Heilberuferecht, das den Ärzten die zentrale Rolle im Gesundheitssystem zuweist und alle anderen Berufe werden auf Delegationsbasis tätig. Das wird in Krankenhäusern relativ souverän gehandhabt über betriebsinterne Vereinbarungen. Aber ursprünglich ist es so, dass ein Arzt in Deutschland sich rechtlich von der individuellen Kompetenz einer Pflegekraft überzeugen muss, bevor er zum Beispiel eine Blutentnahme an sie delegiert. Das ist eine völlig absurde Situation. Denn letztlich ist das eine Tätigkeit die erlernt werden kann, die systematisch geprüft werden kann, so dass dann auch eine Pflegefachperson über die Kompetenz verfügt.

Welche Lösungsansätze gibt es für dieses Problem?

Heinisch: Wir haben zum Beispiel in der Klinik Speising, die einen orthopädischen Schwerpunkt hat, eine eigene Verbandwechsel-Ambulanz eingerichtet und die wird von Pflegekräften betrieben und geleitet. Solche Angebote werden der Ausbildung der Leute gerecht.

Und wir haben in all unseren Krankenhäusern einen „Gesundheitspark“, ein Netzwerk an niedergelassenen Ärzten, Therapeuten und auch Pflege. Pflegende Angehörige können sich dort zum Beispiel beraten lassen. Und die Pflegekräfte arbeiten freiberuflich ohne in irgendeine Struktur eingebunden zu sein.

Ewers: Ich plädiere dafür, dass wir uns an dem angloamerikanischen Modell des „Scope of Practice“ orientieren. Also Aufgaben und Verantwortungsbereiche rechtlich abzusichern, sodass dann eben auch klar ist, dass die Pflegenden das dürfen und dann auch klar die Verantwortung dafür übernehmen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Pflegeberufs?

Heinisch: Pflegende sollten selbstständig arbeiten können, entsprechend ihrer Kompetenzen eingesetzt werden und ihre Fachexpertise direkt am Patienten anwenden können. Dazu sollten wir den Blick ein bisschen über den regionalen Tellerrand hinaus schweifen lassen. Ich sehe da interessante Projekte im Ausland, die uns auch in Österreich gut tun würden.

Ewers: Meiner Meinung nach braucht es einen noch stärkeren Diskurs über interprofessionelle Zusammenarbeit und auch Ausbildung. Wir müssen die Gesundheitsberufe gemeinsam ausbilden, damit sie sinnvoll gemeinsam arbeiten können.