Drosten: Wird Variante BQ.1.1 dominant, könnte Winter schwierig werden
Der Berliner Virologe Christian Drosten sieht erste Zeichen für den Übergang von der Pandemie zur Endemie, sagte er in einem Interview für die deutsche Wochenzeitung Die Zeit. Die schnelle Abfolge von mehreren Corona-Wellen in diesem Jahr "ist das Zeichen für das kommende Ende der Pandemie. Die Wellen stehen stärker auf der Kippe."
Inzwischen reichen schon "kleine Einflussfaktoren wie eine Wetteränderung", um eine Corona-Welle anzuschieben oder brechen zu lassen: "Mitte September war es kalt und nass, die Fallzahlen gingen hoch. Mitte Oktober gab es eine Art Spätsommer, sofort gingen die Zahlen wieder runter. Die Lage für das Virus wird prekär. Das ist gut. Es ist nicht mehr so, dass das Virus mit ein paar Mutationen das Spiel komplett drehen könnte."
Infektionsanstieg von den Virusvarianten abhängig
Wie stark der Infektionsanstieg im kommenden Winter werde, "hängt aber vor allem davon ab, welche Virusvarianten sich in den kommenden Wochen durchsetzen". Die Omikron-Variante BF.7 wäre der bessere Fall, "diese Variante ist BA.5 sehr ähnlich, gegen das ein Großteil der Bevölkerung bereits immun ist. Es käme dann eine sanfte Winterwelle." Mit BF.7 wäre man im endemischen Zustand angekommen.
Bei BQ.1.1 hingegen wäre das nicht so klar festzustellen, denn hier gebe es zusätzliche Immunflucht - das Virus kann also dem Immunsystem von bereits Geimpften oder Infizierten besser entkommen. Und tatsächliche hole BQ.1.1. gerade in mehreren europäischen Ländern auf. "Wenn es dominant wird, könnte der Winter noch einmal schwierig werden."
In Österreich macht der Anteil von Infektionen mit BA.7. und BQ.1.1. derzeit ungefähr jeweils rund 25 Prozent aller sequenzierten Proben aus, Tendenz steigend. Rückläufig ist hingegen der Anteil der bisher dominierenden Variante BA.5.
Christian Drosten erwartet "kurzfristig keine böse Überraschung"
Auf die Frage, ob es wahrscheinlich sei, dass noch eine Variante komme, die wirklich gefährlich werde, sagte Drosten im Zeit-Interview: "Kurzfristig glaube ich nicht, dass eine wirklich böse Überraschung kommt. Das Virus kann an vielen Stellen in seiner Evolution nicht mehr ohne Weiteres zurück. Es ist ein wenig festgefahren und optimiert gegenwärtig nur nach - wobei es, das traue ich mich jetzt zu sagen, in unmittelbarer Zukunft wahrscheinlich auch etwas von seiner Virulenz (seinen krankmachenden Eigenschaften, Anm.) opfern muss."
Für eine wirklich neue Variante bräuchte es "eine Art Revolution, durch erneute massive Verbreitung irgendwo auf der Welt, wo das jetzt noch möglich ist. So war es bei den vorherigen Varianten, die globale Wellen gestartet haben." Diesbezüglich gelte seine momentane Sorge China: "Ich würde nicht ausschließen, dass dort in puncto Evolution noch einmal ein Sprung passiert. Ich erwarte es aber nicht in nächster Zeit."
Virus könnte endemisch werden
Es könne aber genauso gut sein, "dass erst einmal gar nichts mehr passiert." Dann werde das Virus im jetzigen Serotyp endemisch, "wandert zwischen den Hemisphären im Winter hin und her und wird recht zahm." Die Risiken einer Infektion werden dann immer kleiner: "Wahrscheinlich wird das Virus erst mal beim jetzigen Serotyp bleiben - und wir werden einen lang anhaltenden Schutz haben. Erwachsene stecken sich dann viel seltener an."
Daten aus Katar zeigen, dass eine überstandene Infektion vor einer Neuinfektion mit dem gleichen Serotyp fast eineinhalb Jahre lang schütze und bei einem anderen Serotyp wenigstens sechs oder sieben Monate lang, sagt Drosten. Bei endemischen Viren infiziert man sich erstmals in der Kindheit, "da ist die Immunreaktion anders. Bald gilt das auch für SARS-CoV-2."