Wissen/Gesundheit

Demenz bei Babyboomern: "Da kommt was auf uns zu"

Die Zahl der Demenz-Betroffenen wird sich im Vergleich zum Jahr 2000 bis 2035 verdoppeln und damit auch die Herausforderungen der Versorgung, warnte Georg Psota, Leiter des Psychosozialen Dienstes in Wien kürzlich bei einer Veranstaltung des Vereins ganznormal.at, der sich für die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten einsetzt. "Da kommt was auf uns zu. Nur durch Früherkennung wird es möglich sein, Demenzerkrankungen zumindest zu stabilisieren und medikamentös zu behandeln, natürlich hoffen wir auf noch wirksamere Medikamente in einigen Jahren. Daher der Appell sich rechtzeitig untersuchen zu lassen. Ein eigener Test macht es möglich, die Erkrankung festzustellen", erklärte Psota, der auch stellvertretender Vorsitzender von ganznormal.at ist.

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Die frühere Leiterin der Abteilung für Psychiatrie am LKH Villach, Christa Rados, erläuterte im Rahmen der anschließenden Podiumsdiskussion die Situation, indem sie detailliert die Babyboomer-Generation beschrieb: "Das ist eine große Gruppe,  die die Gesellschaft ausmacht und gerade diese Generation kommt aus einer Zeit von sehr selbständigen Persönlichkeiten, die sich nach den 68er entwickelt hat und ganz anders zu verstehen ist als unsere Eltern." Rados weiter: "Dieser Generation zu sagen, was sie zu tun habe, wird schwer sein, vielmehr geht es um Aufklärung und Betreuung dieser Menschen und um gemeinsames Verständnis erzeugen."

Vorsorge ist wichtig, aber Politik muss mehr tun, damit Angebote genützt werden

Andreas Krauter ist Ärztlicher Leiter der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und berichtete aus diesem Blickwinkel, wie bedeutend für die älter werdende Generation das gesunde Leben mit Sport und Bewegung, gesunde Ernährung und lebenslanges Lernen ist: "Dass man damit früh anfangen muss, ist die Nachricht an die Gesellschaft und hier müssen die Institutionen und die Politik aktiv sein und diese wichtigen Botschaften transportieren." Die soziale Verantwortung der öffentlichen Hand, wie die der Sozialversicherungen, ist es, die verschiedenen Angebote für die alternden Menschen zu präsentieren. Nur 14,8 Prozent der Bevölkerung würden diese Angebote der Vorsorge nützen. Hier sei ist noch viel zu tun, insbesondere auch deshalb, um Demenz vorzubeugen und früh zu erkennen. 

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Die Geschäftsführerin des Wiener Seniorenbeirates Sabine Hofer-Gruber brachte ein wichtiges Thema ins Gespräch, das gerne tabuisiert wird: Viele Menschen werden in zunehmendem Alter einsam, wenn sie nicht in einer Partnerschaft leben bzw. in eine Großfamilie eingebunden sind. "Dem entgegen zu wirken ist wichtig, zum Beispiel mit Tageszentren wie in Wien, wo die Menschen hingehen können, um sich persönlich auszutauschen." Hier gilt es aktiv alleinstehende Seniorinnen und Senioren dazu zu bewegen, diese Kommunikations- und Informationszentren aufzusuchen. Hofer-Gruber:  "Mit der Wiener Demenzstrategie gibt es seit 2015 eine Bewusstseinsbildung, die unterstützt, darüber zu reden. Mit Kampagnen wie in der U-Bahn, wo wir Filme zu diesem Thema zeigen, schaffen wir eine wichtige Präsenz, die immer öfter bewusst macht, wie entscheidend ein frühes Erkennen von aufkommender Demenz ist."

Social Media und das Internet würden zwar viele Möglichkeiten schaffen mit der Außenwelt zu kommunizieren und den Geist weiter zu schulen, gleichzeitig verringert es allerdings den persönlichen Austausch, waren sich die Experten einig.

Erste Anzeichen: Wann Angehörige aktiv werden sollten

Georg Psota betonte: "Wir Boomer müssen Teil der Lösung werden, d.h. Arbeiten ist im Alter zu unterstützen, machen wir etwas aus unserer Zeit, bleiben wir geistig und körperlich beweglich." Eine besondere Aufgabe kommt bei der Früherkennung von Demenz der Familie zu. Psota: "Wenn das familiäre Umfeld bemerkt, dass die Angehörigen depressiv werden oder ein Interessenverlust vorliegt, können das Gründe für eine nahende Demenz sein. Hier ist es dann an der Zeit, den Weg zum Facharzt zu beschreiten, um mit Untersuchungen und Tests das Krankheitsbild zu präzisieren und eine rasche Behandlung zum Stoppen der Demenz mit Medikamenten einzuleiten." Psota wies in diesem Zusammenhang auf einen Fachärztemangel hin, der mittelfristig gelöst werden müsste, um eine ausreichende Versorgung von Demenzpatienten sicherzustellen.

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Welche Chancen haben die Babyboomer weiter aktiv zu bleiben, war in der Diskussion eine bedeutende Frage. Andreas Krauter wies darauf hin, "dass wir versuchen müssen, all das erworbene Wissen, weiter zur Verfügung zu haben. Das sind jene Erkenntnisse und Erlebnisse die uns positiv begleitet haben, so kann es möglich sein mit Freude und Leidenschaft seinen Interessen und Hobbys nachzugehen. Es geht darum, eigene Wertschätzung zu erfahren, das müssen wir erhalten, um ein glücklich Leben zu führen." Die Aufklärung mit Hilfe von digitalen Angeboten zu verstärken, wird zukünftig zusätzlich mehr Bedeutung zu kommen, war der allgemeine Tenor der Podiumsgäste.

Sinnstiftende Aufgaben im Alter sind nicht zu unterschätzen

Hofer-Gruber verwies darauf, "dass ältere Seniorinnen und Senioren immer mehr zu Hause bleiben bzw. höchstens in ihrem unmittelbaren Grätzel unterwegs sind, was eine Einschränkung ihrer Kontakte mit sich bringt. Hier müssen wir auf die Angebote aufmerksam machen, die die Aktivität unterstützt. Christa Rados dazu: "Mit dem Ruhestand sollte eine neue Mindmap erstellt werden, die sinnstiftende Aufgaben beinhalten, das kann ein Ehrenamt sein oder eine Tätigkeit in einem Verein".  Unverständlich bleibt für Rados die oft verbreitete Einstellung in unserer Gesellschaft zu fragen 'wie lang musst noch', das impliziere mitunter schon, dass 'danach' nicht mehr viel passiert in der Pension. Hier wäre eine Bewusstseinsänderung notwendig." 

Georg Psota zusammenfassend: "Demenz heißt eigentlich 'ohne Geist', dass das nicht eintritt, dafür haben wir heute viele Einschätzungen und einige Lösungen gehört, um frühzeitig den Patienten zu helfen. Dafür treten wir bei ganznormal.at immer wieder ein und wollen Bewusstsein schaffen."