Wissen/Gesundheit

Covid: Schwere Infektion könnte "Kontrollzentrum" des Gehirns angreifen

Der Blick ins Gehirn schwer an Covid-19 erkrankter Menschen könnte anhaltende Beschwerden nach Abklingen der akuten Erkrankungsphase miterklären: Zu diesem Schluss kommen Neurowissenschafterinnen und Neurowissenschafter der renommierten University of Cambridge.

Virus zieht Hirnstammgewebe in Mitleidenschaft

Das Team um Catarina Rua erstellte hochauflösende MRT-Bilder (Magnetresonanztomografie) bei 30 hospitalisierten Patientinnen und Patienten. Durchgeführt wurden die Scans zu Beginn der Pandemie, noch bevor wirksame, schützende Covid-19-Impstoffe verfügbar wurden. 

Bei der Analyse der MRT-Bilder zeigte sich, dass bei den schwer erkrankten Personen Entzündungen im "Kontrollzentrum" des Gehirns vorlagen, wie die Forschenden es beschreiben. 

Konkret konnten Schädigungen im Hirnstammgewebe, einer essenziellen Hirnstruktur des Menschen, nachgewiesen werden. Diese könnten Langzeitsymptome nach überstandener Erkrankung erklären. 

Der Hirnstamm ist der älteste Gehirn-Teil in der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Er verbindet das Gehirn mit dem Rückenmark. Das Areal kontrolliert Bewegungen der Augen sowie die Mimik und reguliert außerdem lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Blutdruck und Herzschlag.

"Die Tatsache, dass wir Anomalien in den Teilen des Gehirns sehen, die mit der Atmung in Verbindung stehen, deutet stark darauf hin, dass langanhaltende Symptome eine Folge der Entzündung im Hirnstamm nach einer Covid-19-Infektion sind", wird Neurowissenschafterin Rua dazu im Guardian zitiert.

Schädigungen auch sechs Monate später noch nachweisbar

Der Start des Projekts fällt in eine Zeit, in der die chronische postvirale Erkrankung Long Covid Fachleuten noch kein Begriff war. Erst später im Verlauf der Pandemie wurden fortbestehende Beschwerden wie beispielsweise Kurzatmigkeit, Müdigkeit, Hirnnebel oder Kopfschmerzen unter dem Terminus zusammengefasst.

Zwar habe man nicht Long-Covid-Betroffene selbst untersucht, betont Rua. "Aber sie haben oft lang anhaltende Folgeerscheinungen, die Symptomen ähneln, die unsere sehr schwer betroffenen Patienten sechs Monate nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus hatten." Das führe zu der Frage, "ob Menschen mit Long Covid irgendwelche Veränderungen im Hirnstamm haben".

Ein Indiz dafür: Bei den untersuchten Patientinnen und Patienten waren die Schädigungen in mehreren Teilen des Hirnstamms auch noch mehr als sechs Monate später auf den Scans zu erkennen.

Auslöser für Depressionen und Angstzustände

Entzündungen des Hirnstammgewebes könnten auch psychische Probleme mitbedingen, mit denen manche Menschen nach einer Covid-Infektion kämpfen. Von den an der Studie beteiligten Betroffenen hatten diejenigen mit den höchsten Entzündungswerten im Hirnstamm die schwersten körperlichen Symptome und die höchsten Werte bei Depressionen und Angstzuständen, heißt es in der in der Zeitschrift Brain veröffentlichten Untersuchung.

"Diese Studie liefert zwar keinen schlüssigen Beweis für die Ursachen von Long Covid, aber sie deutet auf einen möglichen Verdächtigen für einige Symptome hin", wird Paul Mullins, unbeteiligter Neuroimaging-Experte an der britischen Universität Bangor, vom Guardian zitiert. Therapieoptionen ließen sich aus den Erkenntnissen nicht unmittelbar ableiten. "Aber sie weisen vielleicht auf die Notwendigkeit hin, Entzündungsreaktionen während der anfänglichen Covid-Infektion zu reduzieren."