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Artensterben: Warum es jeden von uns betrifft

Glauben Sie keinem, der sagt: „Keine Aufregung, Artensterben hat es immer gegeben, zum Beispiel vor 65 Millionen Jahren, als die Dinosaurier ausstarben.“ Heute ist alles anders: Seitdem es Menschen auf der Erde gibt, sind noch nie so viele Tiere und Pflanzen ausgestorben wie jetzt. Der Bericht des Weltbiodiversitätsrats, der am Montag in Paris vorgestellt wurde, lässt keinen Zweifel daran.

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Es ist die erste globale Studie seit 14 Jahren, die untersucht, wie es Tieren und Pflanzen auf der Erde geht und in welchem Zustand sich ihre Lebensräume befinden. 145 Experten aus 50 Ländern haben für den Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, vergleichbar mit dem UN-Weltklimarat) drei Jahre lang Tausende von Studien ausgewertet. Heraus kam ein trockener Bericht im Wissenschaftssprech über die Veränderungen der vergangenen 50 Jahre. Mit der Kernbotschaft, dass der Mensch dreiviertel der Erdoberfläche bereits „stark verändert“ habe – Ozeane ausgenommen.

Der KURIER hat den Ökologen von der Universität Wien, Franz Essl, um eine Übersetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse für Laien gebeten. Der Biodiversitätsexperte meint: „Wir sind mitten drin im sechsten Artensterben. Die anderen fünf waren biologischer Natur, und es gab damals noch keine Menschen. Daher konnte sich die Erde über viele Jahrmillionen ungehindert erholen. Die entstandene Nischen wurden durch Arten, die die Evolution hervor gebracht hat, wieder gefüllt.“

Heute sei alles anders: „Wir zerren an dem biologischen Netz, das uns umgibt und die Grundlage des Überlebens ist.“ Alles werde instabil, und schlimmstenfalls könnten die Systeme kippen. Essl: „Wenn eine Art verschwindet, ist das vielleicht nicht so schlimm, doch das passiert gerade tausendfach. So können Ökosysteme zum Beispiel für klimatische Extreme anfälliger werden.“

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Als der IPBES gegründet 2012 wurde, gab es von der Politik eine klare Vorgabe: Den Fokus auf den Zustand der globalen Diversität lenken. Das umfassende, aber häufig verstreute Wissen wurde erstmals zusammen gefasst. „Niemand wird behaupten können, dass er es nicht gewusst hat. Die Biodiversität zu schützen bedeutet, die Menschheit zu schützen“, sagt UNESCO-Generaldirektorin, Audrey Azoulay.

Österreich wurde in dem Report nicht extra behandelt, „allerdings ist der globale Bericht ein Spiegelbild für das, was in den einzelnen Ländern passiert“. Essl attestiert den Österreichern hohes Umweltbewusstsein. Was sich aber nicht in politischen Entscheidungen niederschlage. „Wie vergessen gerne, dass eine intakte Umwelt Grundlage für die ökonomische Entwicklung ist. Das lässt sich schwer gegeneinander ausspielen. In der Landwirtschaftspolitik, bei Flächennutzung und Großprojekten vs Naturschutz müssen langfristige Auswirkungen viel mehr berücksichtigt werden“, fordert der Ökologe.

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Der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrates, Robert Watson, gibt ihm recht: „Wir erodieren global die Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen und Nahrungsmittelsicherheit.“ Die Weltgemeinschaft müsse weg von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltigeren Systemen.

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Immer wieder verdeutlichen die Autoren des Berichts, dass das Artensterben kein reines Umweltthema ist, sondern auch Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtlingsströme beeinflusst. Gravierende Folgen für Menschen weltweit seien inzwischen wahrscheinlich.

Hoffnung

Trotzdem will Watson „der Welt eine Botschaft der Hoffnung geben: Wir haben den Kampf noch nicht verloren – aber nur, wenn wir sofort auf allen lokalen bis globalen Ebenen damit beginnen. Und jeder einzelne von uns kann ein Teil der Lösung sein“. Es bedürfe fundamentaler Veränderungen bei Technologien, in Wirtschaft und Gesellschaft, einen Paradigmenwechsel bei den Werten eingeschlossen. „Unser Ziel ist es, das Thema Biodiversität für die Politik auf dieselbe Ebene zu heben wie den Klimawandel – make biodiversity great again“, sagt Anne Larigauderie, Exekutivsekretärin des Biodiversitätsrats.

So gesehen sei der Bericht des Weltbiodiversitätsrat als Appell der Wissenschaft an die Politik zu verstehen, sagt Ökologe Essl: „Wir – die Menschheit – sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt. Denn auch der Mensch ist Teil der Biosphäre. Wir sollten also nicht vergessen, dass auch wir nur in einer intakten Umwelt überleben können“.