Wirtschaft

Neuer Vorschlag soll EU-Lieferkettengesetz verbessern

Wie wahrscheinlich ist es, dass eine EU-Firma Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschutzverstöße in ihrer Lieferkette hat? Sehr wahrscheinlich, wenn man Berechnungen des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) glaubt. Wegen der dichten Struktur von Liefernetzwerken dürften die meisten Unternehmen mindestens einen Gesetzesbruch in der zweiten oder dritten Zulieferstufe ausweisen, vermutet der Wirtschaftsforscher und Präsident des Forschungsinstituts Gabriel Felbermayr.

Das ASCII hat Vorschläge erarbeitet, die die geplante EU-Richtlinie zur Lieferkettensorgfaltspflicht effizienter machen sollen. Die Direktive wird derzeit zwischen Kommission, Ministerrat und Parlament verhandelt und verpflichtet Unternehmen ab einer gewissen Größe und einem gewissen Jahresumsatz dazu, ihre Lieferketten auf Menschensrechts- und Umweltverstöße zu überwachen. Geschieht dies nicht, drohen Sanktionen und Geldstrafen.

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Von der EU-Richtlinie, die noch vor der EU-Wahl 2024 beschlossen werden soll, seien potenziell rund 20.000 Unternehmen in der EU und bis zu 900 Millionen Lieferbeziehungen betroffen, schätzt ASCII-Direktor und Komplexitätsforscher Peter Klimek. Werde die Direktive umfassend formuliert, müssten mehrere 100 Millionen Lieferbeziehungen überprüft werden. Werde sie verwässert, bringe sie nichts, meint Klimek.

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Positiv- und Negativlisten

Felbermayr schlägt stattdessen die Einführung von Positiv- und Negativlisten für Zulieferer vor. Überprüft werden sollen nicht mehr die Lieferbezeihungen sondern die Lieferanten, erläutert der Wirtschaftsforscher. Durchgeführt werden soll das Monitoring von privaten Agenturen, die von Behörden akkreditiert werden, und die auch die Haftungsrisiken übernehmen.

Mit den ASCII-Vorschlägen könnte auch das notwendige Monitoring stark eingegrenzt werden, sagt Klimek. Er schätzt, dass 750.000 Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern, die EU-Länder beliefern, davon betroffen wären. 

Nebenwirkungen eingegrenzt

Unangenehme Nebenwirkungen der Direktive, etwa der Rückzug von Importeuren aus bestimmten Ländern, weil Unternehmen der Aufwand für die Überprüfung zu hoch ist, könnten minimiert werden. Die Diversität der Lieferketten werde nicht eingeschränkt, meint Felbermayr. Auch geostrategische Auswirkungen, etwa dass der freiwerdende Platz von Einkäufern aus anderen Ländern übernommen wird, die wenig von Menschenrechts- und Umweltstandards halten, könnte eingegrenzt werden. 

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Die EU-Kommission will Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter/innen und 150 Millionen Jahresumsatz in die Pflicht nehmen. In Branchen mit starken Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt im globalen Süden, wie der Textilindustrie, der Landwirtschaft und dem Bergbau sollen die Regeln bereits für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter/innen und 40 Millionen Euro Jahresumsatz gelten. Die Regeln gelten auch für Unternehmen außerhalb der EU, sofern sie ihre Waren in die EU liefern.

Der EU-Ministerrat unterstützt den Vorschlag der Kommission in Bezug auf die Schwellenwerte der Unternehmen. Allerdings will der Rat einige Abschwächungen. So soll das EU-Lieferkettengesetz für den Finanzsektor nicht zwingend gelten. Außerdem will der Rat weniger umfangreiche Pflichten, indem beispielsweise die Wertschöpfungskette weniger umfassend definiert werden soll.

Das EU-Parlament will, dass die niedrigeren Schwellenwerte (250 Mitarbeiter/innen und 40 Millionen Jahresumsatz) generell gelten, um möglichst viele Unternehmen in das EU-Lieferkettengesetz miteinzubeziehen. Die höheren Schwellenwerte sollen nur für Unternehmen gelten, die nicht in der EU ansässig sind. Das EU-Parlament will Unternehmen darüber hinaus auch beim Klimaschutz zur Sorgfalt verpflichten und fordert Verbesserungen für Betroffene, die Zivilklagen einbringen.

Felbermayr und Klimek hoffen, dass ihre Vorschläge in die EU-Richtlinie einfließen oder dass zumindest Spielraum für entsprechende Änderungen bei der Umsetzung in nationales Recht gelassen wird. 

Lieferketten-TÜV

Durch das Monitoring der Zulieferer könne auch so etwas wie ein Lieferketten-TÜV entstehen, meint Felbermayr. Entsprechende Zertifikate seien nicht nur für Europa wichtig. Auch in den USA, Japan und Südkorea gewinne das Thema Lieferketten an Bedeutung.