Wirtschaft/Karriere

Wie man mit Büro-Zwang die eigenen Mitarbeiter verscheucht

KURIER: Jetzt wurden wir ein Leben lang konditioniert, morgens aufzustehen und in die Arbeit zu fahren. Plötzlich braucht es das nicht mehr – hat man sich bereits daran gewöhnt?
Bardia Monshi:
Eine Umgewöhnung fällt nicht schwer, wenn sich die Arbeitswirksamkeit verbessert. Dadurch, dass der Mensch, wie jedes Säugetier, unnötige Anstrengung vermeiden möchte, wird er sich schnell umgewöhnen, wenn er merkt, im Homeoffice besser voranzukommen. Ist es andersrum der Fall, wird ihm wehtun, nicht an seinem gewohnten Arbeitsplatz sein zu können.

War die Etablierung des hybriden Arbeitens in allen Berufsfeldern, in denen es möglich ist, gleich schwierig oder einfach?
Ist eine Arbeit sehr strukturiert, wird Homeoffice kein großes Problem darstellen. Überall dort, wo man mit vielen Überraschungen umgehen muss, auch als Komplexität bezeichnet, ist das Zusammenkommen wichtiger. Je vorhersehbarer und deshalb auch einfacher einzuteilen eine Arbeit ist, desto besser kann man diese aus dem Homeoffice verrichten. Kommt jeden Tag aber ein bisschen etwas anderes, das eine schnelle Reaktion erfordert, brauchen wir stärker den Kontakt zu anderen. 

Die Frage ist nicht, ob man an seine Arbeitsumgebung gewöhnt ist, sondern ob diese die eigene Wirksamkeit fördert.


Besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch vermehrte Abwesenheit den Bezug zum Unternehmen verlieren?
Ja. Wir müssen eines verstehen: Menschen binden sich nicht an Unternehmen, sie binden sich an Menschen. Im IT-Bereich ist das ein großes Thema, da etwa Programmierer meist alleine arbeiten und schneller gewillt sind, bei einem guten Angebot zu wechseln. Veränderung ist somit ein reines Gewinn- oder Gehaltsstreben. Was uns aber in Arbeitsstellen hält, ist die Geschichte, die man miteinander aufgebaut hat. Das ist etwas, das über die gemeinsame Zeit hinweg reift. Ist das nicht vorhanden, ist die Bindung schwächer.

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Wie gelingt es also, die Bindung zu festigen?
Wir dürfen darauf vertrauen, dass der Mensch ein Bedürfnis hat, sich zu binden. Es ist nicht so, als käme jemand mit dem Vorwand in die Arbeit, dort niemanden kennenlernen zu wollen. Der Wunsch nach einem sozialen Gefüge ist etwas, das den meisten Menschen innewohnt. Der wichtigste Blick auf das Homeoffice ist aber, dass es sich hier um ein Werkzeug handelt. Hybrides Arbeiten bedeutet, jetzt einen größeren Werkzeugkoffer zu haben.

Können Sie das näher ausführen?
Das Problem der hybriden Frage existiert nur dann, wenn man es beginnt, ideologisch aufzuladen. Nach dem Motto: „Zusammenkommen ist wichtig, deswegen kommen wir zusammen.“ Das sind keine guten Argumente, sondern ideologisch getriebene Impulse. Die eigentliche Überlegung müsste sein: Was für ein Arbeitsproblem ist zu lösen und welches Werkzeug möchte man einsetzen – also Homeoffice oder lieber gemeinschaftliches Zusammenkommen. Viele Unternehmen entscheiden sich aber für pauschale Lösungen wie zwei Tage Homeoffice die Woche. Ich halte das für keine gute Idee. Denn die Menschen sollen lernen, ihre Arbeitswerkzeuge wirksam einzusetzen.

  • 86 Prozent geben an, im Homeoffice produktiver zu sein
  • Parallel dazu tun sich 85 Prozent der Führungskräfte schwer, auf diese Produktivität zu vertrauen.
  • Trotz Homeoffice-Möglichkeiten fühlen sich ca. die Hälfte der Führungskräfte und Mitarbeiter ausgebrannt
  • Vor Corona lag der Homeoffice-Anteil in Unternehmen bei maximal 20 Prozent - jetzt erreicht er 90 Prozent
  • Zwischen zwei bis drei Tagen Homeoffice sind für den Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimal

Daten: Office Report 2022 / Microsoft Work Trend Index

Studien zeigen, dass es auf der Vertrauensebene zwischen Führungskräften und Angestellten im Bereich Homeoffice noch Aufholbedarf gibt. Warum ist das so?
Es gibt den Begriff der "Productivity Paranoia" auf Führungsebene. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen von sich, im Homeoffice fleißig oder sogar fleißiger zu sein. Die meisten Führungskräfte haben aber das Gefühl, dass das nicht so ist. Da gibt es eine Paranoia Produktivitätsverlust zu erleiden, wenn man die Menschen nicht ständig unter Kontrolle hat. Aber jeder Mitarbeiter bzw. jede Mitarbeiterin, der oder die sich verantwortlich fühlt, möchte das Vertrauen, das einem geschenkt wird, üblicherweise nicht enttäuschen. So kommt es vielleicht auch zu dem Effekt, dass man seine Leistung steigert.

Dennoch werden viele Angestellte zurück an den Arbeitsort zitiert, obwohl Zuhause effizient gearbeitet wurde. Wie wird das aufgenommen?
Es wird als Vertrauensentzug empfunden. Das Interessante ist: Vertrauen erleben wir nur, wenn Intransparenz ausgehalten wird. Bedeutet: Will man Vertrauen kommunizieren, muss man Intransparenz auch ermöglichen. Wird man also ins Büro geholt, weil man an der Arbeitsleistung zweifelt, erlebt man das als soziale Kränkung.

Natürlich ist das Eindringen der Arbeit in das Zuhause eine Verführung, dass man immer auch Arbeitserleben mit sich trägt. Aber wir müssen zugeben: Man kann auch lernen, damit zu leben.


Jetzt hat auch das Homeoffice seine Schattenseiten. Etwa die verschwimmenden Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem. Sind hier neue Stressherde dazugekommen?
Die Selbstführungsanforderung wird immer höher. Man muss ganz viele Entscheidungen, die einem früher abgenommen wurden, plötzlich selbst treffen. Hat einem in der herkömmlichen Bürostruktur die Uhr gesagt, wann die Arbeit vorbei ist, müssen wir jetzt selbst entscheiden, wo wir die Arbeit in gewisse Bereiche eindringen lassen und wann man die Schotten dichtmachen möchte. Das ist der Preis der neuen Autonomie.

Gibt es Möglichkeiten, sich besser abzugrenzen?
Eine Möglichkeit ist, die Kontexte „clean“ zu halten. Sprich, an einem spezifischen Ort alle Arbeitsmaterialien zu haben, um nicht ständig an die Arbeit erinnert zu werden. Steckt sonst die gesamte Assoziation der Arbeitswelt in den Empfindungen der Wohnung. Das kann für manche durchaus wichtig sein.