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Was tun, wenn man die Rechnungen nicht mehr zahlen kann?

Das Leben wird teurer. Im Juli lag die Inflationsrate bei 9,2 Prozent. Tendenz steigend. Das verschärft auch Lebenssituationen. Viele wissen nicht mehr, wie sie ihre Miete oder Kredite zahlen sollen, und verschulden sich. Sind die Schulden nicht mehr zu bewältigen, kommt es zur Überschuldung. Auch diese Fälle werden häufiger: Im 1. Halbjahr 2022 wurden in Österreich insgesamt 4.350 Schuldenregulierungsverfahren eröffnet, das sind um 1.109 Verfahren mehr als im 1. Halbjahr 2021 und entspricht einer Steigerung von 34,2 Prozent. Ratsuchende wenden sich an Schuldnerberatungsstellen im ganzen Land.

Fehlendes Bewusstsein

Auch hier hat die Zahl der Erstkontakte zugenommen, wie Gudrun Steinmann verrät. Sie ist Leiterin der Finanzbildung in der Schuldnerberatung Wien (Tochterunternehmen des Fonds Soziales Wien) und hat über 1.000 Privatkonkurse vor Gericht begleitet. Im Interview spricht sie über Menschen, deren Existenz bedroht ist, fehlendes Bewusstsein im Umgang mit Geld und darüber, dass man vom Existenzminimum längst nicht mehr leben kann.

KURIER: In welchen unterschiedlichen Situationen befinden sich jene Menschen, die sich bei der Schuldnerberatung melden?
 
Gudrun Steinmann: Es sind Menschen, die ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können, wo der Gerichtsvollzieher bereits da war oder sich die Briefe vom Inkassobüro häufen. Menschen, die vor der Delogierung stehen und deren Existenz bedroht ist. Durch die aktuellen Teuerungen hat gerade das zugenommen und aufgrund von Scham oder Angst melden sich die Leute erst dann, wenn sie wirklich keinen Ausweg mehr sehen.
 
Was sind die Gründe, warum es zur Verschuldung beziehungsweise Überschuldung kommt?
Meistens ist es der Verlust des Arbeitsplatzes oder es kommt zur Einkommensverschlechterung durch Scheidung. 40 bis 45 Prozent der Schuldner verfügen über einen Pflichtschulabschluss, haben dadurch ein geringeres Einkommen und verlieren dann häufiger die Arbeit oder sind nur Teilzeit beschäftigt.
 
Wie sehr trifft es Selbstständige?
Etwa jeder fünfte Schuldner ist selbstständig. Die meisten davon sind Ein-Personen-Unternehmen. Sie haben oft wenig Rücklagen und können den Forderungen des Finanzamtes und der Sozialversicherung nicht nachkommen. Stolpern kann aber jeder. Bei uns gibt es in jedem Fall kostenlose Beratung und wir helfen beim wieder Aufstehen.
 
Gibt es aufgrund der steigenden Inflation Anrufe, bei denen hervorgeht, dass sich die Menschen die Lebensmittel nicht mehr leisten können?
Gott sei Dank ist das noch sehr selten. Wir bekommen aktuell sehr viele Fragen zu offenen Mieten oder Jahresabrechnungen der Energieanbieter, die nicht bezahlt werden können.
 
Wie helfen Sie in solchen Fällen?
Generell muss man sagen, dass die Priorität darin liegt, die Existenz des Schuldners sicherzustellen. Sprich, dass Fixkosten wie Miete, Strom und Lebensmittel gedeckt sind und erst in zweiter Linie Kredite, Handyrechnungen etc bezahlt werden. Wir sehen uns dazu ganz genau die Einnahmen und Ausgaben an und versuchen dann Einsparungsmöglichkeiten zu finden beziehungsweise das Einkommen zu erhöhen. Wir bringen alles ans Licht. Denn viele wissen ja nicht einmal, wo sie überall offene Rechnungen haben.
 
Welche Einsparungsmöglichkeiten ergeben sich häufig?
Wir besprechen, ob man bestehende Versicherungen zum Beispiel ruhig stellen kann oder es eine günstigere Wohnung gibt. Und natürlich das Auto. Das ist den Österreichern zwar heilig, bietet aber enormes Einsparungspotenzial. Wir zwingen aber nie jemanden dazu, das Auto zu verkaufen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Wir regen nur zum Umdenken an.
 
Im nächsten Schritt kommt es dann zur Umschuldung, zum außergerichtlichen Vergleich oder zum Privatkonkurs. Aber selbst den muss man sich ja leisten können.
Das stimmt. Denn wir sehen zunehmend, dass den Menschen nichts mehr übrig bleibt. Sie also nicht einmal die kleinste Rate zurückzahlen können. Ich denke, künftig wird in vielen Fällen nicht einmal der Privatkonkurs möglich sein. Die landen dann im ewigen Konkurs und leben jahrelang oder gar für immer vom Existenzminimum.
Das Existenzminimum lag 2021 bei 1000 Euro monatlich. Die Armutsgefährdungsschwelle lag im selben Zeitraum und liegt immer noch bei 1371 Euro. Gehört das Existenzminimum nicht längst angehoben?
Ja, denn von 1000 Euro, die dem Schuldner nach einem gerichtlichen Verfahren zustehen, kann keiner leben.
 
Was kann man präventiv tun, um nicht in die Schuldenfalle zu tappen?
Viele Menschen wissen gar nicht, wofür sie im Alltag Geld ausgeben, welche Zinsen ihre Bank verlangt, wenn sie das Konto überziehen oder kennen ihren Handytarif nicht. Hinzu kommt, dass durch das Bezahlen mit Handy oder Karte Geldausgeben schnell und nebenbei passiert. Es braucht also einen viel bewussteren Umgang mit Geld und eine ehrliche Auseinandersetzung mit seinen Einnahmen und Ausgaben. Man muss sich demnach viel mehr mit seinen Finanzen auseinandersetzen und darf nicht über seine Verhältnisse leben. Denn Kontoüberzüge sind häufig ein erster Schritt in die Überschuldungsfalle. Ein bewusster Umgang mit Konsumentscheidungen und Geld betrifft übrigens auch Akademiker. Denn nur weil man viel Geld verdient, hat man noch lange keinen Überblick über seine Finanzen.