IV: "Das ist die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg"
Die IV sieht ein Überschwappen der Rezession von der Industrie auf die Gesamtwirtschaft. "Dabei ist von Milde keine Spur", sagte IV-Chefökonom Christian Helmenstein am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Wien.
Das BIP werde heuer um 0,7 bis 1,0 Prozent schrumpfen. "Das ist die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg." Ein Aufschwung sei frühestens ab dem zweiten Quartal 2024 zu erwarten. Bei den Metaller-KV-Verhandlungen sei es mit der Benya-Formel heuer nicht getan.
Wifo und IHS hatten zuletzt eine "milde Rezession" gesehen. Sie erwarteten einen BIP-Rückgang heuer von 0,8 bzw. 0,4 Prozent.
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"Anhaltender Verlust an Wettbewerbsfähigkeit"
Grund für die Rezession sei ein "anhaltender Verlust an Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Produktionsstandortes", der "auf weite Teile der Wirtschaft ausstrahlt", sagte der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christian Neumayer.
Während die Vertreter der Industriellenvereinigung ihre düster ausgefallenen Indikatoren präsentierten, fanden weitere Betriebsversammlungen in der Metalltechnischen Industrie statt, weil die Verhandlungen für einen Kollektivvertrag stocken.
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Benya-Formel
Neumayer betonte, dass man sich traditionell nicht einmischen werde in die KV-Verhandlungen. Diese führen Gewerkschaften (PRO-GE und GPA) und Wirtschaftskammer (WKÖ). "Aber die besonders schwierige Situation, vor der wir stehen, bedarf auch besonders kreative und flexible Lösungen. Mit Althergebrachtem wird man heuer nicht das Auslangen finden können."
Was nun kreative Lösungen sein könnten, darauf ging der IV-Generalsekretär nur unkonkret ein. "Es geht um neue Überlegungen, wie wir es schaffen, dass nicht eine Reihe von Unternehmen aus dem Markt gepreist werden."
Sehr viele stünden massiv unter Druck, könnten sich eine "orthodoxe Lohnerhöhung im zweistelligen Ausmaß" nicht leisten. Mit der Anwendung der Benya-Formel sei es heuer nicht getan, so Neumayer.
Jedes dritte Unternehmen strauchelt
Helmenstein verwies bei der KV-Problematik auf Aussagen von WKÖ-Verhandlungsleiter Christian Knill, wonach die Bereitschaft heuer gegeben sei, Streiks hinzunehmen.
"30 Prozent der Firmen haben eine unbefriedigende Ertragslage", verwies er auf das IV-Konjunkturbarometer für das dritte Quartal, "weitere 40 Prozent erwarten, dass sich die Ertragslage weiter verschlechtert."
"Die Rezession erweist sich im internationalen Vergleich in Deutschland und Österreich als besonders negativ ausgeprägt", sagte Neumayer weiter und verwies auf die neueste IV-Konjunkturumfrage fürs dritte Quartal. Denn die einzelnen Parameter dieser sind fast alle im negativen Bereich.
Das kürzlich von der Bundesregierung präsentierte (Bau-)Konjunkturpaket sei "grundsätzlich richtig", so Neumayer. "Was fehlt, ist aber eine Ausweitung der Strompreiskompensation für energieintensive Unternehmen über 2023 hinaus - wie es alle Mitbewerber in Europa haben." Auch die Wiedereinführung einer Investitionsprämie sei anzudenken, gegebenenfalls verbessert und zielgerichtet für den Ökologie-/Energiewendebereich.
"Für das heurige Jahr erwarten wir einen Rückgang der realen Industrieproduktion um drei bis vier Prozent", so Helmenstein. Er sprach von der "gesamtwirtschaftlich betrachtet stärksten normalzyklischen Rezession in Österreich seit einem Dreivierteljahrhundert".
Geschäftslage: Düstere Aussichten
Die aktuelle Geschäftslage und der momentane Auftragsbestand werden zwar gerade noch positiv bewertet. Die Erwartungen für die kommenden sechs Monate sind per saldo tiefrot, fast so wie beim ersten Corona-Lockdown 2020.
Die Produktionstätigkeit findet sich in den nächsten drei Monaten ebenso im negativen Bereich - allerdings stabil und nicht mehr sinkend. Der Beschäftigtenstand sinkt im gleichen Zeitraum im negativen Bereich weiter, nur 7 Prozent der befragten Firmen wollen ihren Mitarbeiterstand ausweiten. "Der Arbeitsmarkt wird in Bewegung geraten", analysierte Helmenstein.
Beunruhigend wäre es, wenn etwa Arbeitskräfte aus der Bauwirtschaft ins nahe osteuropäische Ausland zurückwanderten und für den nächsten Aufschwung fehlen würden. Die derzeitige Ertragssituation ist leicht, jene in sechs Monaten deutlich im Minus angesiedelt.
Rezession als Folge mehrerer Faktoren
Die Rezession in der Industrie sei ein Resultat mehrerer Faktoren, die simultan die heimische Konjunktur belasten, so Helmenstein. In den energieintensiven Wirtschaftszweigen wirkten sich die gegenüber den Vor-COVID-Jahren gestiegenen, vor allem aber im Vergleich zu Wettbewerbern aus Übersee weitaus höheren Energiepreise in Österreich produktionsmindernd aus.
Inländische Faktoren können die Lage nicht mehr ausgleichen. Im Gegensatz verstärken die sinkenden Hochbauvolumina die rezessive Dynamik, erläuterte der IV-Ökonom. Die höheren Finanzierungskosten drücken nicht nur den Wohnbau, sie steigern auch die Lagerkosten und bedingen einen anhaltenden Lagerabbau.
"Eine weitere konjunkturelle Großkrise kann zwar weiterhin als abgewendet betrachtet werden", so Helmenstein. Es dürfe kein zusätzlicher exogener Negativschock die europäische Wirtschaft treffen. "Aber eine allmähliche Erholung ist bestenfalls ab dem zweiten Quartal 2024 zu erwarten."
Neumayer sprach von einer derzeit herrschenden "fast toxischen Mischung" am Wirtschaftsstandort Österreich. Es gehe darum, Vertrauen wieder herzustellen. In diesem Zusammenhang sorge ein "völlig losgelöstes Sprechen über Steuererhöhungen" für das Gegenteil. Steuern auf Vermögen oder das Ableben seien abzulehnen, bei letzterer handle es sich um eine "kalte Enteignung". 269 Rufe nach Steuererhöhungen habe es heuer von allen Politikerinnen und Politikern zusammen schon gegeben, so der IV-Generalsekretär.