Neue Impfstoffe: Staatliche Förderung nur noch gegen Auflagen?
Von Anita Staudacher
Heimische Wissenschafter sprechen sich angesichts der Liefer- und Verteilungsprobleme beim Covid-19-Impfstoff für einen Strategiewechsel bei der staatlichen Forschungsförderung aus. Obwohl bisher 7,6 Mrd. Euro an öffentlichen Geldern in die klinische Forschung von Covid-Impfstoffen geflossen sind, sind die Staaten bei der Versorgung von den Herstellern abhängig. Das sorgt derzeit für heftige Debatten um ein mögliches Aussetzen des Patentschutzes und die Erklärung von Impfstoffen zum öffentlichen Gut.
Bedingungen
"Jede Art öffentlicher Forschungs- und Entwicklungsförderung muss mit vorab vereinbarten Konditionen einhergehen", argumentiert Sozialmedizinerin Claudia Wild, Direktorin des Austrian Institut for Health Technology Assessment (AIHTA).
Solche Konditionen könnten die Schaffung öffentlicher Plattformen zum Austausch von Informationen, die lizenzfreie Verfügbarkeit des Arzneimittels zur Verhinderung von Engpässen sowie ein eigener Patentpool sein. Die Modelle würden seit Langem auf dem Tisch liegen und auch von der OECD empfohlen. Warum sie nicht umgesetzt würden, liege an der Macht der Pharmaindustrie und "am fehlenden politischen Mut, die Pharmakonzerne zu vergrämen", glaubt Wild.
Zwangszulassungen
Sie verweist auch darauf, dass der Patentschutz für Medikamente kein absolutes Recht sei. Bei Lieferengpässen, Notfallsituationen oder exzessiven Preisen sei im Rahmen internationaler Übereinkommen (Doha-Deklaration 2001) sehr wohl eine Zwangslizensierung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit möglich. Einzelne Länder – Deutschland, Kanada oder Israel – hätten inzwischen regulatorische Maßnahmen gesetzt, um Zwangszulassungen von patentgeschützten Medikamenten zu ermöglichen.
Beispiel Antibiotika
Als Beispiel für einen besseren öffentlichen Zugriff auf Medikamente nennt sie die Antibiotika-Forschung. Hier seien öffentliche Forschungsgelder auch an Preisauflagen entlang der gesamten Wertschöpfungskette geknüpft. Die Pharmaindustrie könne sich an Preisgelder-Ausschreibungen bewerben. "Am Ende sollte das Patent dann der öffentlichen Hand gehören, damit die Medikamente erschwinglich sind", so Wild bei einem Mediengespräch von "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz".
Lockdown-Milliarden
"Jeder Tag Lockdown kostet den Industriestaaten 6 bis 12 Mrd. Euro, dann müsste man alles investieren, um die Produktion und Verteilung des Impfstoffes zu beschleunigen", sagt Ökonom Werner Raza, Leiter der österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). Die hohen Lockdown-Kosten würden dazu führen, dass die Staaten die Pharma-Hersteller verpflichten werden, Patentrechte einzuschränken.
Ungleicher Beschaffungswettlauf
Raza verweist auf den globalen Beschaffungswettlauf um die Impfstoffe, bei dem Entwicklungs- und Schwellenländer krass benachteiligt seien. "70 Prozent der Impfstoffdosen haben sich die Industrienationen gesichert", während bei der geschaffenen globalen Impfstoff-Allianz COVAX, die den Zugang für Entwicklungsländer sichern soll, eine Finanzierungslücke von 6 bis 8 Mrd. Dollar klafft. Die Industrienationen müssten die COVAX-Finanzen aufstocken, stattdessen würden sie Exportrestriktionen verhängen.
Um die Versorgung in den Entwicklungsländern zu sichern, sollten die Hersteller vermehrt die Produktionskapazitäten in Indien – der größte Impfstoffproduzent der Welt – nutzen, so Raza. Auch er plädiert dafür, den Patentschutz durch einen Patentpool zu ersetzen. Ein solcher sei beim Covid-19-Impfstoff zwar vorgesehen, aber er sei leer. "Die Hersteller müssten verpflichtet werden, dass sie ihr Wissen auch teilen, wenn sie öffentliche Förderungen bekommen".