Bis zu 1,6 Millionen Diesel-Pkw in Österreich vom Abgasskandal betroffen
Der im Jahr 2015 geplatzte Skandal um die Abgasmanipulation bei Dieselfahrzeugen (des VW-Konzerns) dürfte hierzulande viel umfangreicher sein, als bisher angenommen. Geht es nach der Verkehrsexpertin Lydia Ninz und dem Anwalt Alexander Holzleitner, die im Auftrag der Arbeiterkammer eine 167 Seiten starke Studie erstellt haben, sind in Österreich mittlerweile nicht nur 800.000 Diesel-Kfz betroffen.
„Es könnten im Extremfall noch weitere 800.000 Dieselautos dazukommen, die zwischen 2010 und 2018 in Österreich zugelassen wurden. Denn in diesen Fahrzeugen sind sogenannte Thermofenster verbaut“, sagt Lydia Ninz zum KURIER. „Solche Thermofenster sind dann unzulässig, wenn sie dazu führen, dass die Abgasreinigung die meiste Zeit im Jahr zurückgeschaltet oder ganz ausgeschaltet wird.“ So gibt es zum Beispiel Diesel-Fahrzeuge, bei denen die Abgasreinigung bei Außentemperaturen unter +15 Grad und bei mehr als +33 Grad abgeschaltet wird. Diese Fahrzeuge fahren großteils des Jahres im Schmutzmodus. Dazu muss man wissen, dass die Durchschnittstemperatur im Vorjahr 8,6 Grad Celsius betrug.
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Die betroffenen Hersteller
Laut Hersteller sollen diese Thermofenster dazu dienen, Schäden an den Motoren zu verhindern.
Laut Urteilen des Europäischen Gerichtshof (EuGH) und des Obersten Gerichtshof (OGH) sind aber Thermofenster dann gesetzwidrig, wenn durch sie die Abgasreinigung die meiste Zeit abgestellt ist. Über Thermofenster sollen nicht nur Pkw von VW, Audi, Seat, Skoda und Porsche verfügen, sondern auch Mercedes, Renault, BMW und Opel.
Laut den Studienautoren mussten aber auch Hersteller wie Citroën, Peugeot, Dacia und Fiat-Chrysler ihre Dieselfahrzeuge wegen illegaler Thermofenster in anderen EU-Staaten für ein Update zurückrufen, in Österreich fahren diese Autos ohne Rückruf auf den Straßen herum.
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Höher als 1.000 Meter
Laut Ninz wurden insgesamt 13 verschiedene Abschalteinrichtungen von Experten identifiziert.
So wurde bei VW-Fahrzeugen, die für Software-Updates zurückgerufen wurden, nicht nur ein Thermofenster aufgespielt, sondern ein zweite Abschalteinrichtung, behauptet die Studienautorin.
„Es handelt es dabei um eine Abschalteinrichtung, bei der bei Fahrzeugen der VW-Kernmarken die Abgasreinigung auf Straßen höher als 1.000 Höhenmeter abgestellt wird. Das hat die deutsche Zulassungsbehörde erlaubt“, sagt Ninz zum KURIER. „Das ist für Österreich sehr brisant, da wir zahlreiche Orte haben, die auf mehr als 1.000 Metern Höhe liegen.“ Ein anderer deutscher Autohersteller schaltet die Abgasreinigung seiner Pkw angeblich dann ab, wenn die Klimaanlage eingeschaltet wird. Der Hersteller bestreitet das aber.
Es gibt aber noch eine weitere Abschalteinrichtung, die Taxischaltung. „Das bedeutet, wenn ein Auto 15 Minuten im Stand steht und den Motor eingeschaltet hat, schaltet sich die Abgasreinigung ab“, sagt Ninz. Bei einem italienischen Hersteller schaltet sich die Abgasreinigung seines gängigsten Modells nach 22 Minuten ab, weil die Abgas-Tests gerade einmal 20 Minuten dauern. In Italien ist ein groß angelegter Rückruf gestartet worden, in Österreich ist das nicht der Fall.
Update-Verweigerer
Indes hat das deutsche Verwaltungsgericht Schleswig, das für die deutsche Zulassungsbehörde KBA zuständig ist, geurteilt, dass die Software-Updates bei VW-Pkw wegen unzulässiger Thermofenster rechtswidrig sind und diese Updates nicht vor dem Entzug der Betriebsbewilligung schützen. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.
„Auch jene 356.000 VW-Autos, bei denen in Österreich ein Software-Update gemacht wurde, wären von einer Stilllegung bedroht“, meint AK-Verkehrsexperte Franz Greil. Sie seien am Ende so gestellt, als hätten sie das Update verweigert.
Kurios ist dabei: Die 66.000 hartgesottenen Update-Verweigerer werden derzeit von österreichischen Behörden aufgefordert, die Software-Aktualisierung nachzuholen. Ansonsten droht den Pkw das Aus der Betriebsgenehmigung.
Umweltschutz
Der Abgasskandal ist auch ein Umweltskandal, sagen die AK-Studienautoren. Nach wie vor stoßen Dieselautos viel zu viel umweltschädliche Stickoxide aus. Selbst „saubere“ Diesel-Pkw der neueren Generationen (Euro 6a und Euro 6b) haben den gesetzlichen Grenzwert bei Stickoxiden um das Achteinhalbfache überschritten.
Alleine im Zeitraum 2010 bis 2019 fielen in Österreich 440.000 Tonnen an zusätzlichen Stickoxid-Emissionen durch diese Abgasmanipulation an. Das ist viermal soviel, wie Österreich in einem Jahr emittiert.