Wirtschaft

Autisten trainieren Künstliche Intelligenz

Ob das Erkennen von Bildern oder das Verfassen von Texten. Künstliche Intelligenz entwickelt ihre Fähigkeiten nicht von selbst. Sie muss trainiert werden. Das machen in der Regel Menschen. Beim Chatbot ChatGPT sind es Tausende schlecht bezahlte Arbeiterinnen und Arbeiter in Südostasien, Afrika oder Indien. Sie sichten Inhalte für die Verarbeitung durch das Sprachmodell, versehen sie mit Zusatzinformationen oder filtern missliebige Inhalte heraus. Der österreichische Verein Responsible Annotation geht einen anderen Weg. Er will das Trainieren von KI-Sytemen dazu nutzen, um Menschen mit besonderen Bedürfnissen die Möglichkeit zu geben, in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Hervorgegangen ist die Initiative aus einem Pilotprojekt beim Mautsystemanbieter Kapsch TrafficCom. Die Teilnehmer, Autisten und Gehörlose, sahen sich Tausende Fotos von Autobahnkameras an und markierten darauf Fahrzeugtypen und Autokennzeichen. Damit die KI lernen konnte, ob es sich bei einem Wagen um einen Lkw oder Pkw handelt oder wie Autokennzeichen in unterschiedlichen Ländern aussehen. Im Fachjargon wird das Versehen von Bildern, Texten oder auch Audio-Inhalten mit Zusatzinformationen Annotieren genannt, daraus leitet sich auch der Name des Vereins ab.

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Detailgenauigkeit

Um Künstliche Intelligenz zu trainieren, brauche man hohe Detailgenauigkeit, muss Monotonie gut aushalten und sich Regeln gut merken können. Ein hoher Grad an Zuverlässigkeit und Entscheidungskompetenz seien ebenfalls wichtig, sagt Martin Hartl, der bei Kapsch TrafficCom am Aufbau des Projekts mitgewirkt hat und der jetzt dem Verein vorsteht. Menschen mit Beeinträchtigungen würden solche Fähigkeiten oft mitbringen. "Es sind hochkompetente Menschen. Das wollen wir sichtbar machen."

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Seit 2019 haben mehr als 90 Personen die Arbeitstrainings absolviert. 14 davon wurden von dem Mautsystemhersteller fix angestellt. Sie werden nach dem IT-Kollektivvertrag bezahlt, sind sozialversichert und haben wie jeder andere Angestellte auch Urlaubsanspruch. Auch wenn die Leute im Vergleich zu den Arbeitern in den Billiglohnländern ein Vielfaches verdienen, könne sich das rechnen, sagt Hartl. Es bringe nichts, Geld zu sparen und dann Daten zu bekommen, die man kaum verwenden könne.

Der Verein, bei dem neben Technikern von Kapsch TrafficCom auch KI-Experten von der Fachhochschule Hagenberg und auch Therapeuten mitwirken, will auch andere Unternehmen, die KI einsetzen, davon überzeugen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen für das Training ihrer Systeme einzusetzen. Etwa in der Industrie wo die Technologie hilft, Fertigungsfehler zu erkennen. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Technik über die Medizin bis zur Landwirtschaft.

Es mache eine Unterschied, ob es sich um ein Start-up aus Oberösterreich oder einen Industriebetrieb in Wien handle, sagt Hartl. Man wolle möglichst partnerschaftlich solche inklusiven Annotationsteams in KI-Betrieben aufbauen. Dabei gehe es nicht nur um Beratung und Vermittlung, sondern auch um diverse Unterstützungsangebote für das Team und die Leitung. Für interessierte Unternehmen gebe es auch Förderungen vom AMS und dem Sozialministerium.

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Gemeinsam mit der Arbeiterkammer entwickelt der Verein eine Trainingstation, wo die Annotation von Inhalten ausprobiert werden kann. Jede Woche Tausende Bilder durchzuklicken, sei nicht jedermanns Sache, meint Hartl. Auch bei dem Pilotprojekt bei Kapsch TrafficCom habe rund ein Viertel der Teilnehmer das Arbeitstraining abgebrochen. Weil ihnen Strukturen gefehlt haben oder weil es für einen Arbeitseinstieg zu früh gewesen sei. Die Arbeit eigne sich allerdings auch gut für das Homeoffice. Man müsse nicht allzu viel Sozialkontakt haben.

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Offen ist man für alle Leute, die aufgrund von körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben. Sehbehinderte würden etwa besondere Fähigkeiten beim Annotieren von Audioinhalten mitbringen, sagt Hartl. Es werde immer Menschen brauchen, die Künstlicher Intelligenz projektspezfische Bedingungen näher bringen und bei Entscheidungen helfen oder die Qualität kontrollieren, sagt Hartl: “Da wird sich noch viel tun.”