Wirtschaft

30-Stunden-Woche im Praxistest: Bewerberzahl verzehnfacht

Wer Fachkräfte finden will, muss nicht nur ein gutes Gehalt, sondern auch attraktive Arbeitsbedingungen bieten. Letzteres heißt auch mehr Freizeit. Die Online-Marketing-Agentur eMagnetix aus Oberösterreich führte schon 2018 als Reaktion auf Bewerbermangel eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ein. Die Arbeiterkammer (AK) ließ die Umstellung der Arbeitszeit von der Forschungs- und Beratungsgesellschaft Ximes wissenschaftlich begleiten. Die Ergebnisse liegen nun vor:

Positive Bilanz

Betrieb und Mitarbeitende ziehen eine durchwegs positive Bilanz: „Seit Einführung der 30-Stunden-Woche konnten wir unsere Bewerberzahl erheblich steigern. Vor sechs Jahren haben sich vielleicht zehn Leute auf eine Junior-Stelle gemeldet, heute haben wir 100 Bewerber“, erzählt eMagnetix-Geschäftsführer Klaus Hochreiter. Junge Talente könne man mit dem Gehalt nicht mehr locken, mehr Freizeit sei ihnen viel wichtiger. „Ein Bewerber sagte gleich, er möchte seine Vaterrolle aktiv ausüben und sicher keine 40 Stunden arbeiten“, schildert der Firmenchef. eMagnetix konnte den Beschäftigtenstand seither von 6 auf 40 aufstocken und hat eine sehr niedrige Fluktuation. „Produktivität, Umsatz und Gewinn haben sich sehr positiv entwickelt. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten“, so Hochreiter.

Mehr Privatleben
Durch mehr freie Arbeitstage oder verlängerte Wochenenden bleibt mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbys, Besorgungen oder Kurzurlaube

Geringere Fahrtkosten
Es reduzieren sich die Fahrten von und zur Arbeit. Dadurch werden Kosten, Energie und Abgase reduziert

Höhere Produktivität
Weniger Fehlzeiten wegen weniger Krankenständen, Erledigungen wie Arztbesuche  können an freien Tagen erfolgen

Weniger Teilzeit
Besonders für Frauen, die jetzt 20 Stunden arbeiten, ist die 30-Stunden-Woche ein Ausweg aus der Teilzeitfalle

Auch die Mitarbeitenden zeigten sich in der Evaluierung sehr zufrieden mit der kürzeren Arbeitszeit. „Sie haben mehr Zeit für Privatleben, Familie, Hobby und Freunde“, fasst Ximes-Arbeitszeitforscherin Anna Arlinghaus zusammen.

Arbeitsverdichtung
Weniger Zeit für gleich viel Arbeit kann auch mehr Stress bedeuten, die Leistung kann dadurch sinken

Mehr Überstunden
30 Stunden stehen oft nur am Papier, in der Realität muss oft  mehr gearbeitet werden, Freizeit und Arbeit verschwimmen

Hoher Aufwand
Eine echte 4-Tage-Woche bzw. 30-Stunden-Woche geht nicht überall und erfordert   hohen logistisch-technologischen Mehraufwand.  Oft wollen alle am Freitag frei. Mehr Personal kann nötig sein

Zu unflexibel
Flexible Arbeitszeiten können auch mit Gleitzeit oder Schichtmodellen umgesetzt werden

Gesündere Ernährung

40 Prozent gaben an, jetzt mehr zu schlafen, zwei Drittel nehmen sich mehr Zeit für gesunde Ernährung. „Es gibt auch keine Anzeichen, dass die Arbeitsbelastung bzw. Arbeitsverdichtung gestiegen ist. Zeitfresser wurden ausgemerzt“, sagt Arlinghaus. Männer und Frauen würden auch gleich viel verdienen, also kein Gender-Pay-Gap mehr.

Das Modell von eMagnetix sei zwar nicht eins zu eins auf andere Branchen umsetzbar, zeige aber, dass damit Arbeitskräfte angelockt werden können, sagt AK-Präsidentin Renate Anderl. Sie fordert Arbeitsminister Martin Kocher auf, im Kampf gegen den Fachkräftemangel gemeinsam mit den Sozialpartnern das Thema Arbeitszeitverkürzung endlich anzugehen.

Ein Vorschlag von AK und Gewerkschaft ist die staatlich geförderte Familienarbeitszeit bis zum 4. Lebensjahr eines Kindes. Beide Elternteile arbeiten jeweils zwischen 28 und 32 Stunden pro Woche. „Damit holen wir Frauen raus aus der Teilzeitfalle und Väter raus aus der Vollzeitfalle“, so Anderl. An die Betriebe appelliert sie: „Lassen Sie den Mitarbeitenden ein Leben neben der Arbeit“. Die Wirtschaftskammer lehnt eine generelle Arbeitszeitverkürzung ab. Immer mehr Betriebe nutzen aber den jetzigen Rahmen und bieten flexible Modelle wie eine 4-Tage-Woche an. Auch in den laufenden Lohnrunden ist der Freizeitausgleich Thema.