Leben/Essen & Trinken

Warum die Nachfrage nach Baby-Salaten steigt

Das Herz einer Karotte schmeckt anders als ihr Mantel: "Die unterschiedlichen Strukturen muss man anders zubereiten, damit sich die jeweiligen Aromen bestmöglich entfalten können", sagt Steirereck-Chef Heinz Reitbauer. Der Vier-Hauben-Koch filetiert Gemüse wie Fleisch – mit ähnlichen Herausforderungen. "Vieles ist natürlich mit Mehrarbeit verbunden. Aber die Aromen, die man dadurch erhält, sind den Aufwand wert. In allen Teilen ist viel Geschmack enthalten." Sogar in vermeintlichem Abfall wie Erdäpfelschalen, die Reitbauer im Backrohr als Snack röstet. Oder die Wurzeln von Klee und Kapuzinerkresse. "Gekocht, geschmort, knusprig braten – sie sind vielseitig zu verarbeiten."

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Gemüse ist das Trend-Food unserer Zeit schlechthin. "Das wird auch noch lange so weitergehen. Gemüse ist das neue Fleisch", sagt Hanni Rützler. Keine Rede mehr von Beilage – aber Zeichen eines größeren gesellschaftlichen Wandels, der als Randthema einiger weniger begann. Denn Food-Trends entstehen nicht "aus heiterem Himmel", betont Rützler, die im Food Report für das Zukunftsinstitut die wichtigsten neuen Phänomene beleuchtet.

Neuer Trend: Mehl aus Gemüsesorten

Wie definiert sich ein Trend? Manches in den sozialen Medien Hochgelobte gerät ja rasch wieder in Vergessenheit. "Inputs passieren heute immer schneller, aber diese 'Trends' sehe ich eher als Moden. Mich interessieren Dinge, die weiter greifen." Im Fall von Gemüse heißt das: "Jetzt ist der Boden aufbereitet, um Gemüse eine neue Rolle am Teller spielen zu lassen. In der Theorie war das zwar schon länger der Fall, doch nun gibt es zahlreiche Anregungen und eine neue Wertschätzung."

Wertschätzung und Respekt vor der ganzen Pflanze und ihren natürlichen Kreisläufen – das ist Heinz Reitbauer ebenfalls wichtig. "Es geht um das Bewusstsein, dass das Leben einer Pflanze Wert und Energie besitzt." Die ganze Pflanze zu verarbeiten, ist für Hanni Rützler eine der sichtbarsten Ausformungen des Gemüse-Trends. From leaf to root, also vom Blatt bis zur Wurzel, findet auch unter Hobbyköchen Nachahmer.

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Für die Expertin steht dahinter eine Rückbesinnung auf alte Küchentechniken. "Nicht zuletzt durch die Industrialisierung der Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist uns auch ein Großteil des Wissens über Pflanzen und deren Essbarkeit verloren gegangen. Dieses Know-how können wir jetzt dank innovativer Köche und Kochbuchautoren wieder spielerisch erarbeiten."

Die Verwendung von allen Teilen lässt junge Start-up-Unternehmer an neuen Zugängen tüfteln. "Anti-Grain" aus den USA bietet Mehle aus Kürbis, Süßkartoffeln oder Äpfeln an. Der italienische Großgemüseproduzent Aureli setzt auf getrocknete Karotten und Wurzeln. Er bewirbt seine Gemüsebrösel u. a. als gluten- und laktosefreie Panier für Chicken-Nuggets oder Faschiertes. Expertin Rützler freuen diese Innovationen: "Wir stehen erst am Anfang. Ich glaube, dass noch viel Neues kommt – auch wenn manches nicht bleiben wird. Aber sie beweisen einen liebevollen Blick auf das Ganze."

Nachfrage nach Micro Leafs und Baby-Salaten steigt

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Beispiele wie diese zeigen, dass gute Angebote die Nachfrage stärken. Wer etwa wie derKeltenhofbei Stuttgart auf Raritäten setzt, hat gute Chancen. "Die Nachfrage nach neuen, innovativen Salatsorten wächst ständig", heißt es. Sogenannte Baby oder Micro Leafs wie die in Asien beheimateten Mizuna- oder Tatsoi-Salate, begann die Großgärtnerei ab der Jahrtausendwende zu kultivieren. Mittlerweile sind es 20 Sorten, die wegen ihrer Empfindlichkeit zum Teil per Hand bearbeitet und geerntet werden oder im Gewächshaus wachsen.

Was sich dann letztendlich am Markt durchsetzt, hängt nicht zuletzt von der unkomplizierten Zubereitung ab, glaubt Rützler. "Das erklärt, warum Fresh-Cut-Gemüse, mit dem man sich das zeitaufwendige Gemüseputzen erspart, mit deutlichen Wachstumsraten aufwarten kann."

Hier zurück zum Themenschwerpunkt.

Der Wunsch der Konsumenten nach natürlichen Lebensmitteln mit wenigen bis gar keinen Zusatzstoffen fordert die Lebensmittelindustrie zum Umdenken auf. „Die Machtverhältnisse verschieben sich. Es wird deutlicher, dass die Kunden jetzt immer mehr Macht haben“, sagt Food-Trendexpertin Hanni Rützler. Dafür hat sich der Begriff De-Processing etabliert.

Dabei geht es nicht nur zum das Weglassen bestimmter Stoffe, sondern auch um die bewusste Auswahl qualitätsvoller Ausgangsprodukte, am besten mit nachvollziehbarer Herkunft. Nahrungsmittel mit Bezeichnungen „frisch“, natürlich“ oder „naturbelassen“ stehen zwar in der Gunst der Konsumenten ganz oben, müssen aber trotzdem mikrobiologisch und optisch den gewohnten Kriterien entsprechen. Nur weglassen ist also keine Option, betont Rützler. „Das ist für die Hersteller herausfordernd, weil ohne Zusatzstoffe wird die Produktion aufwendiger und auch teurer.“

Das wird unter anderem durch Konservierungsmethoden umgesetzt, die auf physikalischen Prinzipien beruhen. Dazu zählen etwa Mikroorganismen, die durch Fermentation den Zuckergehalt senken oder Hochdruckbehandlungen, die eine Strukturbildung und Wasserbindung (statt Salzzugabe) ermöglichen. Für etablierte Marken wird dieser Paradigmenwechsel schwieriger vermittelbar sein, als für junge Unternehmen, die in den USA bereits den Namen „Natural Food Industry“ erhielt.