Nach 22 Operationen: Warum ÖSV-Star Ortlieb nicht ans Aufhören denkt
Von Christoph Geiler
Wie buchstabiert man denn eigentlich Stehauffrau? Wahrscheinlich so:
N i n a O r t l i e b.
28 Jahre ist die Vorarlbergerin erst alt, aber ihre Verletzungsgeschichte reicht für mehrere Karrieren. Die WM-Zweite von 2023 (Abfahrt) arbeitet gerade an ihrem x-ten Comeback.
Seit wenigen Tagen steht die Tochter von Abfahrts-Olympiasieger Patrick Ortlieb (1992) in Sölden wieder auf den Skiern, nachdem sie sich im Dezember 2023 das Schien- und Wadenbein gebrochen hatte. Es war damals die 20. Operation in ihrer Laufbahn.
KURIER: Bei wie vielen Operationen halten Sie denn inzwischen?
Nina Ortlieb: Es waren mehr Operationen, aber es ist keine Verletzung dazugekommen. Mir ist das Metall aus dem Wadenbein entfernt worden, dann Schrauben aus dem Schienbein, und von einer früheren Verletzung wurde auch was repariert. Die Leute sind oft verwirrt, wenn ich von 22 Operationen spreche, aber nicht jede OP ist wegen einer akuten Verletzung.
Entwickelt jemand wie Sie nach so vielen Verletzungen eine Form von Routine?
Zu wissen, dass ich wieder zurückkommen kann, hilft mir enorm. Zugleich weiß ich aber aus Erfahrung, was einen nach einer Verletzung erwartet und wie hart die Zeit ist. Und wie lange es dauern kann. Ich habe auch deshalb so schnell wieder die Motivation gefunden, weil ich in der Vergangenheit gesehen habe, dass ich nach Verletzungen schon den Weg zurück geschafft habe. Und gerade der Skirennsport hat gegenüber anderen Sportarten einen Vorteil.
Nämlich?
Er ist extrem vielfältig. Wenn ich irgendwo ein Defizit habe, dann kann ich das mit anderen Stärken ausgleichen. Für einen Sprinter, dessen Bein nicht mehr maximal belastbar ist, wäre es schwierig, an der Weltspitze dabei zu sein. Es gibt gerade bei uns im Weltcup genug Beispiele, die trotz schwerer Verletzungen vorne mitfahren. Das ist das Schöne an unserem Sport und macht es für mich leichter. Auch wenn ich niemandem wünsche, dass er wissen muss, was es bedeutet, wieder zurückkommen zu müssen.
Wie groß war und ist die mentale Belastung?
Natürlich hatte auch ich zwischendurch immer wieder meine Zweifel. Gerade je näher es zum Skifahren gegangen ist, desto mehr habe ich mir Gedanken gemacht. Keine dir genau sagen, ob das wieder klappen wird. Sofia Goggia hat auch eine Platte im Unterschenkel, ich habe mitgekriegt, dass sie mit den Schmerzen nicht umgehen kann. Da hat man Ängste, dass es einem ähnlich ergeht.
Geht durch die vielen Verletzungen nicht irgendwann das Vertrauen in den eigenen Körper verloren?
Es hilft mir, dass ich mich das letzte Mal an einer anderen Körperstelle verletzt habe. Ich habe bei diesem Sturz gesehen: Mein Knie hält. Und auch mein Chirurg Christian Schenk sagt mir: Ich kann jetzt meinen Unterschenkel eigentlich nicht zerstören. Das ist stabil. Und wenn man weiß, dass man den Unterschenkel nicht kaputtmachen kann, dann ist das für den Kopf sehr wichtig.
Sie sind sehr reflektiert. Haben Sie für sich irgendwelche Lehren aus dem letzten Sturz gezogen, der ja beim Einfahren passiert ist?
Der Sturz war sicherlich eine Verkettung unglücklicher Umstände. Aber ich habe für mich auch etwas gelernt: Dass es nicht wert ist, etwas zu riskieren, wenn die Bedingungen nicht gut sind. Schon gar nicht beim Einfahren. Ich bin grundsätzlich jemand, der vom Umfang her die meisten Läufe fährt. Das ist einfach ein schmaler Grat: Wenn ich nicht fahre, werde ich nicht besser. Aber wenn ich vielleicht einmal weniger gefahren wäre, dann hätte ich mir nicht wehgetan. Man ist leider immer erst im nachhinein gescheiter.
Wie ist denn jetzt der Status quo?
Es ist schneller gegangen, als sich viele erwartet haben. Der Fuß ist stark genug, ich habe vor zwei Wochen Krafttestungen gemacht und da war ich selbst überrascht, wie viel Kraft schon wieder da ist. Das hat mir viel Selbstvertrauen und Zuversicht gegeben, vor allem für den Kopf. Ich kann dem Bein wieder vertrauen.
Wie geht’s weiter? Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Mir hilft der Weltcupkalender, es sind noch gut zehn Wochen bis zu den ersten Speedrennen in Nordamerika. Und das halte ich für realistisch, dass ich das schaffe.