Reichelt gibt nach dem Kreuzbandriss nicht auf
Von Christoph Geiler
Wenn Sportler zu einer Pressekonferenz ins Krankenhaus laden, dann herrscht häufig eine gedrückte Stimmung. Manchmal fließen dabei sogar Tränen. Als nun aber Hannes Reichelt mit Krücken durch die Gänge des Sanatoriums Kettenbrücke humpelte, war bei ihm von Resignation und Niedergeschlagenheit wenig zu sehen.
Dass er am Samstag in der Abfahrt in Bormio ein „komplexes Kniegelenkstrauma“ erlitten hat, wie Chirurg Karl Golser es formuliert; dass er frühestens in sechs Monaten wieder Skifahren darf; dass er dann bereits 40 sein wird und ihn deshalb viele schon abgeschrieben haben – das alles scheint Hannes Reichelt nicht zu kümmern. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt aufhören sollte. Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich aufhören will.“
Schlechter Zeitpunkt
Als er auf der Stelvio-Piste im Fangnetz gelegen war, hatte der Salzburger noch anders gedacht. „Im ersten Moment habe ich gemeint: ,Jetzt ist es vorbei“, gesteht Reichelt, der bei seinem Sturz sogar noch instinktiv richtig reagiert und damit womöglich eine noch schwerere Verletzung verhindert hatte. „Ich habe gespürt, dass das Knie nachgegeben hat und mich dann gar nicht mehr gewehrt, sondern mich einfach ins Netz fallen lassen“, erzählt der 39-Jährige.
Die Schuldfrage stellt sich für Hannes Reichelt grundsätzlich zwar nicht, „das ist eigentlich immer der Läufer“, wobei der Routinier schon zu bedenken gibt, dass die Kombination aus schlechter Sicht und unruhiger Piste eine tückische ist. „Bormio ist eine der coolsten Abfahrten. Aber man muss überdenken, ob man dieses Rennen nicht zu einem anderen Zeitpunkt im Jahr macht, wenn die Sicht besser ist. Aber wir wissen ja, wie langsam die FIS reagiert.“
Schlimmer Sommer
Der 39-Jährige hat allerdings noch eine andere Theorie, warum es gerade ihn erwischt hat. „Wenn man einen turbulenten Sommer hinter sich hat, dann ist die Gefahr, dass so etwas passiert größer. Ich habe das öfter schon beobachtet“, meint Reichelt. „Ich schließe das auch bei mir nicht aus.“
Der Radstädter hat im Sommer die „schlimmsten Tage meines Lebens“ mitgemacht, wie er im KURIER-Interview gestand. Gegen Hannes Reichelt war im Zuge der Doping-Operation Aderlass ermittelt worden, weil er ein guter Freund eines verdächtigen österreichischen Langlauf-Trainers ist. Der Skistar wurde verhört, sein Handy beschlagnahmt und überprüft. Erst nach mehreren Monaten wurden die Ermittlungen eingestellt. „Das hat belastet“, sagt Reichelt.
Gute Erinnerungen
Insofern ist der Zeitpunkt der Verletzung in seinen Augen gut gewählt. „Bis auf die Geburt meines Sohnes Niklas war 2019 ein Scheiß-Jahr, das trifft es am besten. Ich bin froh, dass das 2019 passiert ist, jetzt ist es abgehakt.“
Wenn er sich auf seinem harten Weg zurück Zuversicht holen will, dann blickt Reichelt weiter zurück in die Vergangenheit. Zum Beispiel ins Jahr 2005, als er sich das Kreuzband riss, um neun Monate später seinen ersten Weltcupsieg zu feiern. Oder er erinnert sich an seinen schweren Bandscheibenvorfall im Jahr 2014, zwölf Monate später holte er WM-Gold im Super-G. „Ich bin immer stärker zurück gekommen“, sagt Hannes Reichelt.
Großes Fernziel
Und auf so ein Aha-Erlebnis hofft der Salzburger jetzt auch bei diesem Comeback. Reichelt hat sehr wohl mitbekommen, dass nach seinem Sturz in Bormio bereits Abgesänge auf ihn angestimmt wurden. „Warum? Weil ich jetzt 39 bin“, wundert sich der Routinier. „Nur weil es vor mir noch keinen Läufer in diesem Alter gegeben hat, heißt es ja nicht, dass es unmöglich ist.“
Schon im Sommer hatte Reichelt angekündigt, bis zur WM 2021 in Cortina fahren zu wollen. An diesem Ziel hat sich auch durch die Knieverletzung nichts geändert. „Cortina habe ich mir in den Kopf gesetzt.“
Sprachs und humpelte mit den Krücken zurück auf die Krankenstation des Sanatoriums Kettenbrücke, wo seit Sonntag auch Christopher Neumayer liegt. Der Mannschaftskollege vom Skiclub Radstadt hatte sich ebenfalls in Bormio einen Kreuzbandriss zugezogen. Reichelt leistete dem 27-Jährigen zu Silvester Gesellschaft. „Meine Frau hat daheim mit dem Kleinen sowieso genug zu tun. Da braucht sie nicht noch einen großen Patienten.“