Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung
Von Christoph Geiler
Wer im 21. Jahrhundert Kolumbus spielen möchte, muss wohl Astronaut werden – oder Alpinist. Denn ich glaube, dass man den eigenen Entdeckergeist gerade in den Bergen heute noch ausleben kann.
Wer David Lama verstehen wollte, der musste mit ihm ins Gespräch kommen. Interviews mit ihm dauerten oft mehrere Stunden. Nicht nur weil er so viel zu erzählen hatte. David Lama hatte vor allem auch viel zu sagen.
Und dabei präsentierte er sich gänzlich anders, als es die aufsehenerregenden Videos und Fotos, die es von ihm und seinen Expeditionen gibt, vielleicht vermuten lassen würden: David Lama war weder Hasardeur noch Adrenalinjunkie, und er war alles andere als leichtsinnig und lebensmüde – dafür liebte er das Leben zu sehr.
Pragmatiker
Auf seine Projekte wie etwa die Erstbesteigung des Lunag Ri im vergangenen November bereitete sich der Tiroler monatelang vor. "Weil ich nicht vom Glück abhängig sein und dem Glück vertrauen will."
Für einen jungen Mann hatte der Tiroler einen äußerst pragmatischen Zugang zum Bergsteigen. Zum Leben an sich, aber auch zum Tod, der in vielen Gesprächen mit ihm Thema war. Zwangsläufig. "Die Gefahr ist meine Herausforderung, und die Todesangst ist ein absoluter Teil davon", sagte er einmal. "Für mich ist ein Bergsteiger ein Realist. Wenn er zu negativ denkt, dürfte er gar nicht einsteigen. Ist er zu optimistisch, kommt er früher oder später um. Ich habe mich mit den Sachen auseinander gesetzt. Es bringt nichts, sich das dramatisch vorzustellen."
Abenteurer
Das war bei Hansjörg Auer nicht anders. Der Ötztaler bezwang die Berge im Free-Solo-Stil, das bedeutet ohne Seil und ohne Sicherung. Jeder Fehltritt, jeder lose Stein bedeutet den sicheren Tod. Wie sein verunglückter Kletterpartner nahm auch David Lama dieses Risiko in Kauf. Er wusste, welchen Gefahren er sich aussetzte, als er etwa im vergangenen Herbst im Alleingang als erster Mensch den Lunag Ri (6895) im Himalaya bestieg. Er wusste, dass ihn im Ernstfall "dort oben keiner holen würde".
Es ist für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbar, wie sich jemand freiwillig in diese Todesgefahr begeben kann. David Lama pflegte dann oft mit einem Lächeln zu sagen: "Auch wenn ich über die Straße gehe, begebe ich mich in Lebensgefahr."
Der Sohn eines Nepalesen und einer Innsbruckerin wollte immer schon hoch hinaus – hoch hinaus im wahrsten Sinne. Lama war mit 16 Jahren der beste Sportkletterer der Welt. Und wenn er diese Karriere ernsthaft fortgesetzt hätte, dann wäre der Tiroler wahrscheinlich der Topfavorit gewesen, wenn die Kletterer 2020 in Tokio erstmals um Olympiamedaillen kraxeln dürfen.
Doch der Wettkampf in der Halle war nicht seine Welt. Er wollte nicht indoor gegen andere klettern, lieber stellte er sich gemeinsam mit anderen Alpinisten dem größten und mächtigsten Gegner. "Mir ist klar, dass der Berg immer der Stärkere ist", betonte er fast bei jedem Interview. "Und man muss akzeptieren, dass man nicht alles selbst in der Hand hat."
Anarchist
Auch wenn’s für manche vielleicht so aussehen mag: David Lama hat nicht mit seinem Leben gespielt. Er hat auf seine Weise sein Leben gelebt und genossen. "Dort oben lebe ich als Anarchist", sagte er und gestand: "Die Emotionen, wenn du auf dem Gipfel stehst, die sind so bereichernd."
Die Berge haben David Lama Berge gegeben. Als er im Spätherbst nach der Besteigung des Lunag Ri nach Tirol zurückgekehrt war und über seine Abenteuer erzählt hatte, hatte er nicht nur Freude über seinen Gipfelsieg verspürt. Sondern vor allem eine Leere. Damals sagte er: "Ich vermisse die Berge schon jetzt wieder."