Großer Tag bei den French Open: Aufschlag zum Generationenduell
Von Harald Ottawa
Vielleicht ist es ein letzter Glanz einer goldenen Ära. Mit Sicherheit neigt sich jedenfalls eine Epoche langsam dem Ende zu. Eine Epoche, in der Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic die Tennis-Welt in Grund und Boden spielten. Nur vereinzelt durchbrachen ein paar Männer eine Dominanz, die es vorher nicht gab und wohl auch nicht mehr geben wird. Andy Murray oder Stan Wawrinka zum Beispiel, die es wagten, den Big Three je drei Majors wegzuschnappen.
Federer (20 Grand Slams), Nadal und Djokovic (je 22) haben über eineinhalb Jahrzehnte alles dominiert, weil sie sich ständig verbessert haben und das Level permanent anhoben.
Doch im Vorjahr mischte sich ein Spanier ein, der es schaffte, den Tennissport noch einmal auf eine andere Ebene zu bringen: Carlos Alcaraz, seit 5. Mai 20 Jahre alt und damit um ziemlich genau 16 Jahre jünger als sein heutiger Gegner im wohl größten Generationenduell seit Tennis-Ewigkeiten.
Alcaraz gegen Djokovic. Das ist mehr als die Nummern eins und zwei der Welt (im Live-Ranking). Zu sagen, dass hier die Vergangenheit auf die Zukunft trifft, wäre aber falsch. Weil beide in der Gegenwart die wohl Besten sind – ohne Rücksichtnahme auf die Geburtsurkunde. Man braucht kein Statistiker sein, um zu sehen, dass die Zahlen für den 36-jährigen Serben sprechen. Das weiß auch Alcaraz, angesprochen auf die Frage, ob die Jugend oder die Erfahrung an diesem Freitag (15 Uhr/live Servus TV, Eurosport) zählen wird. „Ich möchte glauben, meine Jugend“, sagt der Spanier, der aber vorrechnet: „Es wird sein 45. Semifinale bei einem Grand Slam sein und erst mein zweites.“
Den Zahlenvergleich zu unternehmen, ist aber überaus sinnlos. Als Djokovic im Jänner 2003 erstmals Geld verdiente mit seinem Sport (und mit 15 Jahren eine Auftaktniederlage bei einem Future in München hinnehmen musste), war Alcaraz noch nicht einmal in Planung.
Befindlichkeiten
Außerdem geht es ohnehin nur um die gegenwärtige Befindlichkeit. „Mein Level wird mit jedem Sieg besser“, sagte Alcaraz nach seinem glatten Viertelfinalsieg über Stefanos Tsitsipas. „Das war eines der besten Matches meiner Karriere.“ Djokovic sieht es pragmatisch: „Wenn du der Beste sein willst, dann musst du die Besten schlagen. Und er ist der Spieler, den man hier schlagen muss.“
Wenn er es tut und am Sonntag noch den Sieger aus dem zweiten Halbfinalduell zwischen Casper Ruud (NOR) und dem Deutschen Alexander Zverev (am Freitag, im Anschluss), dann hält der Serbe eine Rekordmarke, die vielleicht ewig bestehen wird: Er hätte dann mit seinem 23. Major-Triumph Nadal überflügelt. Ob der eben an der Hüfte operierte Spanier 2024 noch einmal große Turniere gewinnen wird können, bezweifeln viele Experten.
Und einen eigenen Rekord würde Djokovic auch wieder verbessern – bei einem dritten Triumph in Roland Garros geht er in seine 388. Woche als Nummer eins der Welt. Und er wäre der erste Profi, der jedes Grand-Slam-Turnier zumindest dreimal gewinnen konnte.
Alterserscheinungen
Der älteste Grand-Slam-Sieger kann er (noch) nicht werden: Der Australier Ken Rosewall war 1972 bei den Australian Open mit 37 Jahren und zwei Monaten der bisher älteste Champ. Gewinnt Alcaraz, der bei einem Sieg über Djokovic in jedem Fall im Ranking vorne bleibt, kann er auch nicht der jüngste Paris-Champion werden: Michael Chang (17, 1989), Mats Wilander (17, 1982), Björn Borg (18. 1974 ) und auch Nadal (19, 2005) waren jünger.