Sport/Fußball

Rekord auf Zeit: Warum die FIFA bei der WM so lange nachspielen lässt

Die Weltmeisterschaft in Katar ist noch keine drei Tage alt und schon gibt es genügend Stoff für Diskussionen. Keine gänzlich vollen Stadien hier, Proteste und politische Botschaften da. Und dann gibt es da auch noch plötzlich Unmengen an Nachspielzeit. Zehn Minuten in der ersten und 14 Minuten in der zweiten Halbzeit etwa beim Spiel zwischen England und dem Iran am Montag. Der Treffer zum 6:2-Endstand durch den Iraner Mehdi Taremi wurde so zum spätesten Tor der WM-Geschichte (90.+13).

Neun Minuten wurden am Ende der zweiten Halbzeit bei USA gegen Wales angezeigt und dann sogar auf zehn erweitert. Und der Fußballfan fragt sich: Was soll denn das bitte?

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Lange Behandlung

Nun gut, schließlich ist in den Partien auch einiges passiert. Bei England gegen den Iran musste etwa Torhüter Alireza Beiranvand nach einem Zusammenstoß mit seinem Mitspieler lange Zeit auf dem Spielfeld behandelt und dann auch mit der Trage vom Spielfeld transportiert werden. Mögliche Elfmeter wurden vom Video-Schiedsrichter überprüft. Aber 14 bzw. zehn Minuten Nachspielzeit? 

FIFA-Schiedsrichter-Chef Pierluigi Collina hatte dies vor Beginn der Spiele in Katar prophezeit. "Wir haben die verlorene Zeit bereits bei der WM 2018 in Russland genauer berechnet und tun das jetzt wieder", sagte der Italiener, der einst als "Glatze Gnadenlos" Berühmtheit erlangte und 2002 in Tokio selbst Final-Referee zwischen Brasilien und Deutschland war.

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"Wenn Sie mehr aktive Spielzeit wollen, müssen wir bereit sein, diesen Schritt zu gehen", sagt der  62-Jährige. "Denken Sie an ein Spiel mit drei erzielten Toren. Ein Jubel dauert normalerweise eine, eineinhalb Minuten, also verliert man bei drei erzielten Toren fünf oder sechs Minuten." Dies zu berechnen sei die Sache des Vierten Offiziellen.

Dazu kommt die Zeit, die durch VAR-Checks verloren geht und vom Video-Referee bzw. dessen Assistenten selbst berechnet und via Funk ins Stadion übermittelt wird. Dies sei auch notwendig, so Collina. "Die Schiedsrichter auf dem Platz sind selbst zu sehr auf das Geschehen konzentriert, als dass sie die mögliche Nachspielzeit auch noch selbst berechnen könnten."

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Somit kommt es in Katar zu Rekordspielzeiten. Wie die Datenanalyse-Profis von "Opta" errechnet haben, fanden die vier Spielhälften mit der längsten Nachspielzeit in der WM-Geschichte seit 1966 allesamt am Montag statt. Und zwar neben den beiden Hälften bei England gegen Iran und der zweiten Spielhälfte in der Partie zwischen den USA und Wales auch noch die zweite bei Senegal gegen Niederlande, die ebenso um mehr als zehn Minuten verlängert wurde. Auch in dieser Partie fiel ein ganz später Treffer. Davy Klasen traf in Minute 90.+9 zum 2:0 für die Niederländer.

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Collina sagt auch: "Es ist nicht akzeptabel, dass es in einer Spielhälfte nur 42 oder 43 Minuten aktive Spielzeit gibt." Die Rechnung des Italieners geht aber ohnehin nicht auf. Einer Berechnung der spanischen Sporttageszeitung Marca zufolge rollt der Ball in den Top-Ligen Europas ohnehin nur 52 Minuten pro Spiel.

Wenn nun eine Partie 100, oder wie bei England gegen Iran sogar 114 Minuten dauert, was prozentuell eine Steigerung der vorgesehenen Spieldauer um fast 27 Prozent bedeutet, dann kommen dabei nicht nur neutrale Fans, die viele Tore sehen wollen, auf ihre Rechnung. Auch für FIFA-Sponsoren, deren Sujets in den Stadien platziert sind, freuen sich über einen Mehrwert. Ob allerdings auch die großen TV-Sender glücklich sind, die weder Programm- noch Werbezeiten einhalten können, steht auf einem anderen Papier.