Politik/Weckruf

Biederfrau und die Brandstifter

Sie scheint durchaus zu wissen, was sie erwartet. Als Angela Merkel ihre vierte Kanzler-Kandidatur ankündigte, sagte sie einen Satz, der mehr nachhallte als alle anderen: "Diese Wahl wird schwierig wie keine zuvor", sagte sie da.

Gemeint hat die Kanzlerin damit nicht nur innerdeutsche Probleme. Sie hatte im Blick, dass 2017 im Windschatten Trumps eine ganze Achse an Rechtspopulisten in Europa nach der Macht greift – die AfD in Deutschland, Geert Wilders in den Niederlanden, der in den Umfragen vorne liegt; Marine Le Pen in Frankreich, die in den Umfragen zur Wahl ums Präsidentenamt nur knapp hinter François Fillon, dem Kandidat der Konservativen liegt. Gewinnt nicht zuletzt Norbert Hofer die Präsidentenwahl in Österreich, verändert sich die politische Landkarte Europas dramatisch: Dem Kontinent droht ein Szenario wie jenes in den USA – eine Spaltung in zwei Lager. Rund um Angela Merkel jene, die auf Zusammenhalt, liberale Werte und eine starke Union pochen, rund um Marine Le Pen jene, die Abschottung fordern und mit dem Austritt aus der EU spielen. Biederfrau Merkel und die rechtspopulistischen Brandstifter, könnte man das Drama dann nennen.

Clash der Werte

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Wie es so weit kommen konnte, beschäftigt Politik und Wissenschaft angesichts der US-Wahl mehr denn je. Fabio Wolkenstein, Politologe an der Goethe-Universität Frankfurt, sieht den Schwenk hin zu den Populisten nicht nur ökonomisch begründet: Natürlich würden auch jene, die sich wirtschaftlich "abgehängt" fühlen, rechts wählen, sagt er – viele neue Rechts-Wähler sähen aber auch ihre Werte nicht mehr von den etablierten Parteien repräsentiert. "Es ist in den letzten Jahren zu einem Clash der Wertehaltungen gekommen", sagt er. "Viele Mitte-rechts-Parteien vertreten jetzt liberale Positionen. Da kam es zu einer Entfremdung."

Das beste Beispiel dafür ist ausgerechnet Merkels CDU, die mittlerweile Abgrenzungsprobleme gegenüber der SPD hat. Dieses Vakuum füllt seit Kurzem die AfD. Diese bedient, wie alle Rechtspopulisten Europas, den Wunsch nach "alten Werten" und kommt damit vor allem gut bei älteren Wählern an. Die ältere Generation ist es auch, die bei den anstehenden Wahlen den Ton angeben könnte: Auch in Europa droht ein Szenario à la Trump und Brexit, wo viele junge Desinteressierte nach der Wahl ihr Nichtstun bereut haben. "Es besteht die Gefahr, dass junge, kosmopolitisch eingestellte Leute von der älteren, konservativeren Generation outvoted werden", sagt Wolkenstein. In fast allen EU-Ländern liegt der Anteil der 17- bis 34-Jährigen, die sich wenig bis gar nicht für Politik interessieren, bei 50 Prozent. In einigen, wie Ungarn, sogar bei 71, hat die Foundation for European Progressive Studies eruiert (siehe Grafik).

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Dem "alten Europa" und den etablierten Parteien steht also ein harter Kampf um die Jungen bevor – und das im doppelten Sinne. Denn jene, die zur Wahl gehen, wählen oft rechts; Front National und FPÖ können sich auf ihre junge Anhängerschaft verlassen. Auch das ist in einem Versäumnis der etablierten Parteien begründet, sagt Wolkenstein: Dass klassische Mobilisierung bei den Jungen nicht funktioniert, haben Rechtspopulisten früher als alle anderen erkannt. HC Straches Facebook-Universum umfasst 460.000 Menschen, Marine Le Pen folgen auf Twitter 1,2 Millionen – eine unbezahlbare Werbefläche, vor allem, wenn die Demagogie dort im Gewand vermeintlicher Fakten daherkommt.

Helfer aus Ost und West

Diese Echokammern, in denen die Rechtspopulisten ihre eigenen Welten schaffen, werden 2017 noch mehr Raum einnehmen – nicht nur, weil mit US-Medien wie Breitbart auch die Helfer Trumps nach Übersee drängen, sondern auch, weil Hilfe aus dem Osten wartet. Russische Trolle mischen schon lange soziale Netzwerke im Sinne der Rechtspopulisten auf; und Wladimir Putin fördert Europas EU-Kritiker, etwa, indem er dem FN einen Millionenkredit gewährte.

Diese Entwicklungen hat Europa lange verkannt – auch hier passt die Biedermann-Parabel: Populisten wie Viktor Orbán oder Jarosław Kaczyński führen ja schon länger vor, wie leicht sich die Errungenschaften der Demokratie demontieren lassen. In Ungarn wird die Medienfreiheit eingeschränkt, in Polen werden die Grundrechte beschnitten; all das unter den Augen jener Politiker, die selbst mit kleinen Trumps im eigenen Land zu kämpfen haben. Die Trumpisierung Europas war schon lange vor Trumps Sieg im Gange – man hat die Brandstifter im eigenen Haus nur ignoriert.

Angela Merkel scheint das zu dämmern. "Was wir für selbstverständlich gehalten haben, ist nicht mehr selbstverständlich", sagte sie nun bei einer Brandrede gegen Europas Demagogen. Man könnte auch sagen: Wenn Europa nicht aufpasst, frisst die Demokratie ihre eigenen Kinder.

Zu den anderen Teilen der Serie "Weckruf für Europa":

Populisten sind in Mode: "Autoritärer Populismus wird das bestimmende politische Phänomen der nächsten Jahre", sagt Joe Twyman. Er hat für das Umfrageinstitut YouGov erhoben, in welchen europäischen Ländern die Wähler zu autoritär agierenden Politikern neigen – besonders hoch sind die Raten in Rumänien (82 Prozent), Polen (78), Frankreich (63 Prozent) und den Niederlanden (55).

Das schlägt sich auch in den Umfragen zu den kommenden Wahlen nieder. FN-Chefin Marine Le Pen liegt im Rennen um die Präsidentschaft nur knapp hinter dem Konservativen François Fillon; im ersten Wahlgang käme er auf 24, sie auf 22 Prozent. Ähnlich gut sind die Aussichten für den Niederländer Geert Wilders, dessen PVV auf Platz eins liegt. Dass er Regierungschef wird, ist dennoch unwahrscheinlich – keiner seiner Konkurrenten will mit ihm koalieren. Anders ist das in Tschechien, wo im Herbst gewählt wird – dort hat der Populist Andrej Babis die größten Chancen auf Platz eins. Der Milliardär, der derzeit Finanzminister ist, positioniert sich ähnlich wie Donald Trump als Macher-Figur.

Nur in Deutschland – hier wird im September gewählt – ist die Lage anders. Merkels CDU liegt bei 33 Prozent, die AfD bei 13,5 – ihr Potenzial scheint auch begrenzt zu sein: Laut YouGov sind nur 18 Prozent der Deutschen Fans autoritär-populistischer Ideen.