Was Kanzler Kurz mit Europa vor hat
„Österreich muss ein ehrlicher Makler zwischen den Interessen der Staaten sein“, sagt Wilhelm Molterer. Der ehemalige Vize-Kanzler, der von der österreichischen Politbühne vor sieben Jahren in die Führungsetage der Europäische Investitionsbank in Luxemburg wechselte, hat hohe Erwartungen an den österreichischen Ratsvorsitz in der EU. Er pocht aber auch „auf die neutrale Position“ des jeweiligen Vorsitzlandes. „Das ist vielleicht einer der Gründe“, führt Molterer gegenüber dem KURIER aus, „warum Präsidentschaften immer nur auf sechs Monate angelegt sind. Man kann als EU-Mitgliedsstaat nicht auf Dauer die Rolle des ehrlichen Maklers ausüben.“
Ein Europa, das schützt
Doch für ganz Europa relevante Themen setzen kann Österreich im kommenden halben Jahr sehr wohl. „Ein Europa, das schützt“, hat die türkis-blaue Regierung in Wien als Schwerpunktmotto herausgegeben. Das bedeutet: Der Kampf gegen die illegale Migration, die Sicherung der EU-Außengrenzen und überhaupt der große Bereich „Sicherheit“ werden die Handschrift des österreichischen Ratsvorsitzes prägen.
„Am 20. September dieses Jahres werden wir zu einem informellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs einladen, der sich diesem Themenkomplex widmen wird“, bestätigte Kanzler Sebastian Kurz vergangene Woche. Die großen EU-Familienfotos, vor der grandiosen Kulisse in Salzburg – sie sind eine ideale Gelegenheit, sich als hervorragender Gastgeber für die 27 anderen europäischen Staats- und Regierungschefs zu präsentieren. Tatsächliche Entscheidungen aber fallen bei informellen Gipfeln nicht. Diese werden, wenn überhaupt, nur noch bei den jährlichen vier EU-Gipfeln in Brüssel getroffen. So wie Einflussmöglichkeiten eines Ratsvorsitzes seit den EU-Verträgen von Lissabon im Jahr 2009 überhaupt zusammengestrichen wurden.
Von der Migrationsfrage zu der Reform der Währungsunion bis zum Brexit oder dem noch auszustreitenden nächsten EU-Budget – nichts davon kann Österreich trotz seines Verwaltungsgroßeinsatzes zur Entscheidung bringen. Es sei denn, alle Zeichen stehen in den EU-Staaten dafür bereits auf Grün. Doch als „ehrlicher Makler“ liegt es an Österreich, zu vermitteln und so entscheidende Weichen zu stellen.
Etwa beim Brexit: Verhandelt wird der Austritt Großbritanniens aus der EU ausschließlich in Brüssel, Verhandlungsführer ist die EU-Kommission. Doch würden London und die anderen 27 EU-Staaten das Austrittsabkommen wie geplant bis Oktober oder spätestens November absegnen, wäre dies unbestreitbar auch ein großer Erfolg für die österreichische Präsidentschaft.
Die Chancen dafür sind intakt – und erheblich größer als bei Österreichs eigentlichem Schwerpunktthema – der Migration: Als derzeitiges Rats-Vorsitzland hat sich zuletzt Bulgarien mit einem Vorschlag, das europäische Asylrecht und die umstrittene Dublin-Regelung zu erneuern, die Zähne ausgebissen. Österreich will von diesem Kurs abweichen: Über die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas soll nicht mehr diskutiert werden – denn hier ist angesichts des Widerstandes der osteuropäischen Staaten ohnehin kein Zentimeter an Verhandlungsboden zugewinnen.
Außengrenzen sichern
Stattdessen richtet sich der Fokus der Regierung in Wien auf die Sicherung der EU-Außengrenzen. Dabei ziehen alle EU-Staaten mit: Aufstockung der EU-Grenzschutztruppe Frontex binnen zweieinhalb Jahren von derzeit 1.500 auf 10.000 Mann. Auch dem Ruf nach der Errichtung von Auffangzentren für Migranten außerhalb der EU stimmen mehr und mehr EU-Staaten zu. „Abhalten und abschrecken“ lautet also die Botschaft der österreichischen Ratspräsidentschaft an alle künftigen Migranten. Was aber mit all jenen geschehen soll, die es bisher nach Europa geschafft haben und auch noch schaffen werden, lässt Wiens Kurs außer acht. Eine „Politik der Schlagworte“ werfen kritische Stimmen in Brüssel der Regierung in Wien schon jetzt vor.
Ohne allzu viele Hoffnungen, bis Jahresende einen Durchbruch zu erzielen, geht Kanzler Kurz zudem in die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU. Der Streit ums Geld für das Sieben-Jahresbudget zieht sich in der EU immer über Jahre hin. Dass Wien die 27 EU-Staaten, die erstmals ein Budget ohne die britischen Nettozahler ausstreiten müssen, angesichts diametral auseinanderlaufender Interessen auf eine Linie bringen kann, bezweifeln in Brüssel selbst die allergrößten Optimisten.
Doch der Maßstab für Erfolg misst sich für Ratspräsidentschaften ohnehin in anderen Einheiten, schildert ein Diplomat dem KURIER: „Ein Erfolg ist es schon, wenn wir diese sechs Monate ohne unvorhersehbare Ereignisse geordnet und gut abwickeln.“
WAS ÖSTERREICH SONST NOCH VORHAT
Eine der wesentlichen Aufgabe eines EU-Vorsitzlandes sind die „Trialoge“ genannten Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und den 28 Regierungen der EU-Staaten: Denn wenn bei der Gesetzgebung auf EU-Ebene kein Konsens gefunden wird, müssen die Vorsitzländer, konkret die jeweiligen Fachminister, die Verhandlungen übernehmen. Zur Stunde sind rund 190 Legislaturvorschläge ungelöst, alle, das hat auch Bundeskanzler Kurz schon gesagt, werden die Österreicher wohl nicht lösen können. Der Vorsitz bietet aber bei den Fachministertagungen die Möglichkeit, eigene Akzente und Themen auf die Agenda zu setzen. Und Fachministertreffen wird es in den kommenden zuhauf geben.
Die Regierung hat darauf wert gelegt, Ministertagungen nicht nur in Wien, sondern in fast allen Bundesländern abzuhalten. Innenminister Herbert Kickl und Justizminister Josef Moser haben dazu Mitte Juli gleich beim Rat für Justiz und Inneres in Innsbruck die Gelegenheit. Ministertreffen außerhalb Wiens wird es außerdem in Linz (Energie), in Salzburg (informeller EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im September), im niederösterreichischen Schloss Hof (Landwirtschaft), in Graz (Verkehr) und in Bregenz (Ländliche Entwicklung) geben.
Den Auftakt zum EU-Vorsitz macht die Regierung kommenden Samstag mit einer Einladung auf der Planai in Schladming/Salzburg. Kommende Woche am 3. Juli wird Bundeskanzler Sebastian Kurz dann im EU-Parlament Österreichs Programm vorstellen. Die großen Weichen werden aber in Brüssel gestellt, bei den EU-Gipfeln im Oktober und Dezember.