Politik/Inland

Kurz: "Ich war in den letzten Monaten nicht immer einfach"

"Kanzler Kurz!": Die ÖVP feiert mit hunderten Funktionären, Fans und Sprechchören den fulminaten Wahlsieg im prall gefüllten Kursalon Hübner. Laut Hochrechnungen liegt die ÖVP bei 37,4 Prozent - ein Erdrutschsieg. Der aktuelle Vorsprung auf die SPÖ ist mit 15,6 Prozentpunkten der größte bei einer Nationalratswahl in der Zweiten Republik. 1990 lag die SPÖ mit 10,7 Prozentpunkten Abstand vor der ÖVP auf Platz eins.

Die Jubelschreie waren so laut, dass man Generalsekretär Karl Nehammer im Interview mit dem ORF kaum verstehen konnte. Auf mehrmalige Nachfrage, welche Koalition die ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz nun anstrebe, wollte sich Nehammer nicht festlegen. Eine Zweier-Variant mit FPÖ, SPÖ und Grünen scheint möglich. Aus Reihen der ÖVP gibt es noch keine klare Ansage.

"Heute ist der Tag der Volkspartei", stellte Nehammer in seiner Siegesrede fest.

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Kurz privat: "War nicht immer einfach"

Durch den Medienraum betrat dann ein chronisch lächelnder Kurz den Kursalon. Die Ellbogen der Journalisten wurden ausgefahren: ein Foto, ein Mini-Statement, ein Blick. Kurz schaffte es dann doch auf die Bühne: "Vielen, vielen Dank, mir fehlen die Worte", zeigte er sich begeistert und bedankte sich für die "großartige Zusammenarbeit" im Wahlkampf - unter überschwänglichem Beifall. Wahlergebnisse anderer Parteien und Koalitionsvarianten wolle er derzeit nicht kommentieren, sagte er später vor Journalisten.

Weit nach 22 Uhr trat Kurz dann noch einmal vor die Menge. Der Saal platzte aus allen Nähten. Die türkisen Anhänger - noch einmal von Peter L. Eppinger und Tecno-Klängen auf Krawall gebürstet - tobten bei jedem Satz. Kurz zeigte sich von seiner intimeren Seite: "Man hat es mir vielleicht nicht angemerkt, aber auch ich war in diesen letzten Monaten nicht immer einfach. Ich möchte deswegen ein großes Danke an diejenigen sagen, die mich auch privat ausgehalten haben." Besonderer Applaus flammte auf, als Kurz feststellte, dass Peter Pilz nicht mehr im Parlament vertreten sein werde.

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Vorfreude im Vorfeld

Bereits am frühen Nachmittag gab es gute Stimmung im Festsaal. Nehammer heizte der Menge ein: "Er hat den Mut nicht verloren, er hat die Kraft nicht verloren, großen Applaus für unseren Kanzler Kurz!" Bei den Hochrechnung war der Festsall so voll, dass die Menschen vor den Türen jubeln mussten. Der Großteil von ihnen trug Türkis - an der Haut und im Herzen: "Ich will meinen Kanzler zurück", sagte eine begeisterte Wählerin dem KURIER. Eine sonnengebräunte Dame hatte ihrem "Kanzler" einen Kuchen gebacken.

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Wirksame Warnung vor linker Mehrheit

Meinungsforscher und (fast alle) Kontrahenten waren sich bereits vor der Wahl einig: Kurz bekommt eine zweite Chance als Kanzler. In den Umfragen schwankte die ÖVP konstant zwischen 33 und 38 Prozent - über zehn Prozent vor SPÖ und FPÖ. Dass die ÖVP wieder stimmenstärkste Kraft ist, überrascht niemanden.

Erleichtert dürfte die ÖVP darüber sein, dass es keine Mehrheit "links der Mitte" gibt, vor der Kurz im Wahlkampf-Endspurt eindringlich gewarnt hatte. Selbst bei der Abschlusskundgebung, vergangenen Freitag, beschwor der Ex-Kanzler das Gespenst der "Koalition gegen uns": "Bei der EU-Wahl hatten Rot, Grün und Pink zusammen schon 47 Prozent. Ein Prozentpunkt mehr bei jedem heißt am Ende, dass Pamela Rendi-Wagner Bundeskanzlerin wird!"

Dieses bunte Szenario ist nun endgültig vom Tisch. Bis auf die ÖVP haben alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen. Eine Mehrheit gegen Türkis-Blau ist laut erster Hochrechnung arithmetisch unmöglich. Das öffnet Kurz den koalitionären Verhandlungsspielraum, den er sich gewünscht hat.

Auf Ibiza-Schock folgte Pannen-Wahlkampf

Vermessen wäre es, der ÖVP deshalb im Nachhinein einen friktionsfreien Wahlkampf anzudichten. Nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos beendete Kurz die türkis-blaue Koalition mit den Worten: "Genug ist genug." Die FPÖ-Minister traten daraufhin geschlossen aus der Regierung zurück. Es folgte ein ÖVP-Erdrutschsieg bei den Europawahlen. Tags darauf, am 27. Mai, wurde Kurz als erster österreichischer Bundeskanzler via Misstrauensantrag von SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt abgesetzt.

Kurz wunderte sich über den rot-blauen Schulterschluss und sprach von einem "Racheakt". Sein großer Kontrahent im Wahlkampf 2017, Christian Kern, twitterte voller Genugtuung: "Man trifft sich immer zwei Mal im Leben." SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sprach von einer "richtigen Entscheidung". Kurz habe "zügellos" nach der Macht gegriffen.

Der gestürzte Kanzler zeigte sich daraufhin kämpferisch: "Heute hat das Parlament entschieden, aber am Ende entscheidet das Volk." Er verzichtete auf ein Mandat im Nationalrat und machte eine kleine Österreich-Rundfahrt. Nach harmonischen Bergauf-Touren und sanft steigenden Umfragewerten rollten dem jüngsten Altkanzler der Zweiten Republik recht bald kantige Stolpersteine entgegen: Schredder-Affäre, Ibiza-Verschwörungen, mutmaßlich gefälschte eMails, geleakte Spenderlisten und Berichte über den Schuldenstand der Bundespartei.

Programm: Kurz

Die ÖVP ging in die Gegenoffensive, beschwor einen „Schmutzkübel-Wahlkampf“ gegen Kurz, deckte einen Hackerangriff auf die Parteizentrale auf und versuchte mit einem inhaltlich schlanken 100-Punkte-Wahlprogramm zu kontern. Thematisch setzte die ÖVP auf eine Fortführung des türkis-blauen Regierungsplans, darunter die Umsetzung der Steuerreform 2020. Weiterköcheln durfte das Dauerthema Migration und zur Bekämpfung des hausgemachten Klimawandels präsentierte die ÖVP ein – von vielen Experten bemängeltes – Wasserstoff-Konzept.

Eine inhaltliche Generalüberholung hatten die Türkisen nicht im Sinn, "Kurz" war Programm. So stand auf den Wahlplakaten Slogans wie "Wer Kurz will, muss Kurz Wählen" oder "Klarheit schaffen, Kurz wählen". Auch bei "Einer, der unsere Sprache spricht" drehte sich alles um Kurz. Ein Spruch, der für blauen Unmut sorgte, hatte ihn doch Jörg Haider bereits 1999 plakatiert. Und dann auch noch das: Kurz und Herbert Kickl übernahmen den Sager etwa gleichzeitig. Der Zwist, wer zuerst Haider plagiiert hatte, legte sich aber schnell.

Wer kann Koalition?

Nun dürfte es an Kurz liegen, die richtigen Worte für seine(n) künftigen Koalitionspartner zu finden. Er steht vor einer Richtungsentscheidung. "Die FPÖ kann es nicht", hatte er nach dem Aus der türkis-blauen Koalition verkündet. Im Wahlkampf klang das wieder etwas anders. In Wahlduellen zwischen Kurz und FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer ging es amikal zu. Die FPÖ veröffentlichte hoffnungsvolle Paartherapie-Videos.

Die Prozente sind auf einem Niveau, wie zuletzt 2002 (42,30 Prozent für Wolfgang Schüssel). Die ÖVP hat gleich drei Koalitionsvarianten und geht mit vielen Optionen in die Verhandlungswochen.

Im Kursalon wollte sich kein Gesprächspartner auf eine Variante festnageln lassen: Von Michael Spindelegger, über Josef Moser, bis hin zu Kurz-Untersützer Frenkie Schinkels. Auch abseits von Kameras und Aufnahmegeräten wollte kein Vertreter eine Präferenz zeigen. Alle Varianten seien "gleich schwierig", hieß es etwa.

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