"Strategisch notwendiger Unsinn“: Die Message Control zum Nachlesen
Von Johanna Hager
Er war Journalist (u. a. News), mehr als zehn Jahre als dessen Pressesprecher sowie Medienbeauftragter an der Seite von Sebastian Kurz und dort maßgeblich für den Erfolg der türkisen ÖVP verantwortlich.
Als Autor will Gerald Fleischmann nun „das Zusammenspiel von Politik und Medien offen zeigen“. Wer sich spektakuläre Einblicke in die türkisen Kommunikationsweisen erhofft, wird wohl eher enttäuscht.
Tote Katze & Kennedy
In "Message Control“ ist seitenweise die Rede von internationalen Strategien wie dem „Barbra Streisand“-Effekt (gescheiterter Versuch, eine unangenehme Information zu unterdrücken) oder der „Dead Cat“-Strategie (Unangenehmes thematisieren, um von noch Unangenehmerem abzulenken) und von internationalen Politikern.
Gerald Fleischmann im KURIER-Gespräch über mögliche Leser:
"Wir haben immer Angst vor dem, was wir nicht kennen. Ich will in diesem Buch das Zusammenspiel von Politik und Medien offen zeigen, in a nutshell, wie es heißt, und damit Verständnis wecken."
über viele internationale Politik-Beispiele in seinem Buch:
"Warum ich so viele Beispiele aus den USA, Großbritannien oder Deutschland nenne ist ganz einfach: Ich versuche die Entwicklung des modernen polit-medialen Systems von seinem Urknall - dem TV-Duell Kennedy-Nixon - bis zur Gegenwart darzustellen."
über die türkise Kommunikation:
"Ob heute die Message Control wie 2017 funktionieren würde? Das kann ich nicht sagen. 2017 und 2018: Das war die Zeit des Brexit, von Macron und Trump. Es war Zeit für etwas Neues und genau das war unser Slogan damals. Sebastian Kurz war als Reformer genau der richtige Typ Politiker zu dieser Zeit. 2022 und heute ist wiederum Stabilität gefragt."
über Umfragen:
"Die tatsächlichen Umfragen gehen derzeit für die ersten drei Parteien von einem Korridor zwischen 23 und 26 Prozent aus. Deshalb ist für ÖVP, SPÖ und FPÖ alles möglich. Auch Karl Nehammer hat alle Chancen, Erster zu werden."
über unvergessene Bilder.
"Nie vergessen werde ich die Terrornacht in Wien, mit der auch das Buch beginnt, und den Moment zu Beginn der Pandemie, in dem Bernhard Bonelli im Bundeskanzleramt die Erklärung der Bioethik-Kommission vorliest, die der Politik eine Triage in den Krankenhäusern empfahl. Jeder dachte an die Situation, dass man mit seinem Papa ins Spital fährt, um ihn beatmen zu lassen, aber das Beatmungsgerät ein Jüngerer bekommt, weil er mehr Überlebenschancen hat."
über Nehammers Momentum:
"Karl Nehammer, das muss man immer bedenken, hatte sein Momentum noch nicht. Er konnte sein erstes Jahr nichts anderes tun, als Krisen zu managen. Er ist ist im Lockdown angelobt worden, in seine ersten 100 Tage fiel der Beginn des Ukraine-Krieges, die Teuerungs- und Energiekrise und ein drohender Gasmangel im Winter. Sein Momentum kommt erst."
über TikTok für Politiker:
"Nein, nicht jeder Politiker muss auf TikTok sein. Wichtig ist Authentizität. Wichtig bleibt bis auf Weiteres das Interview in einer Sonntagausgabe und der Live-Einstieg in den Hauptnachrichten."
über neue Plattformen:
"Radio wird als Informationsquelle vollkommen unterschätzt. Facebook ist die ultimative Reichweite, TikTok jene Plattform, mit der die Jüngsten erwischt werden. Wichtig ist, was die nächste Plattform sein wird, die wir heute noch nicht kennen. Kann sein, dass sie noch schneller wird als TikTok, auch wenn das kaum vorstellbar ist."
Warum so viel über Thatcher bis Merkel und Macron und so wenig über Kurz und dessen Vorgänger enthalten ist, sei ganz einfach, so Fleischmann zum KURIER: „Ich versuche die Entwicklung des polit-medialen Systems von seinem Urknall, dem TV-Duell Kennedy-Nixon, bis zur Gegenwart darzustellen.“
Ob heute die Message Control wie zur Nationalratswahl 2017 und danach funktionieren würde, das könne er nicht sagen. "Das war die Zeit des Brexit, von Macron und Trump. Es war Zeit für etwas Neues und genau das war unser Slogan damals. Kurz war als Reformer genau der richtige Politiker-Typ zu dieser Zeit“, so Fleischmann, der als ÖVP-Kommunikationsleiter jetzt für Kurz’ Nachfolger arbeitet.
Nirvana-Taktik & SNU
"Karl Nehammer konnte in seinem ersten Jahr nichts anderes tun, als Krisen zu managen“, sagt der 49-Jährige. Im Gegensatz zu Kurz’ komme Nehammers Momentum erst. Den Erfolg von Sebastian Kurz führt dessen ehemaliger Message-Controler Fleischmann im Buch unter anderem auf die "Nirvana-Taktik“ zurück.
Erkenntnis 1: "Wenn man in der Welt zwischen Politik, Wirtschaft und Medien tätig ist: Das Unvorstellbare ist möglich."
Erkenntnis 2: "Wenn man also möchte, dass die eigene subjektive Wahrheit zur objektiven Wahrheit für alle wird, sollte man dafür sorgen, dass die eigene Wahrheit auch in der Zeitung steht."
Erkenntnis 3: "Public Relations können nicht nur die Berichte in den Medien, sondern die realen Geschehnisse auf der Welt beeinflussen"
Erkenntnis 4: "Wer an unsere Festplatte heranwill, muss das über Bilder tun."
Erkenntnis 5: "Durch Bedrohungen fühlen wir uns am besten unterhalten."
Erkenntnis 6: "Vorsprung zählt. Wer schneller ist, besitzt mehr Macht."
So, wie es Kurt Cobain mit seiner Grunge-Band Nirvana verstanden hätte, „Poppermelodien im Heavy-Metal-Sound“ zu kreieren – so sei es Kurz gelungen, an den „Melodien der ÖVP festzuhalten“ und „die Methoden Bruno Kreiskys und seiner SPÖ-Medienorgel“ zu kopieren.
Zum kommunikationspolitischen PR-Werkzeug gehörte es auch, „SNU“ („strategisch notwendiger Unsinn“) via Social Media zu verbreiten, um von anderen Themen abzulenken.
Lawrow & SNU
Und es war Teil des täglichen Geschäfts, Bilder zu erzeugen, wie es im Kapitel „Erkenntnisse“ heißt. Sergei Lawrow habe dieser türkisen Taktik nichts abgewinnen können.
Ein gewünschtes Handshake-Foto in Wien – Kurz ist zu dieser Zeit Außenminister – lehnt sein russischer Amtskollege mit „I don’t like theatre“ ab. Das Buch enthält übrigens keine Bilder – und kein Kapitel, in dem es um den Abstieg der ÖVP, die Inseratenaffäre und das Ermittlungsverfahren, in dem auch Fleischmann als Beschuldigter geführt wird, geht. Ganz dem Titel entsprechend.