Politik/Inland

Höhere Strafen? "Damit will man die Bevölkerung beruhigen"

50 Gesetzesverschärfungen plant die Regierung im Strafrecht – so wird künftig die Mindeststrafe bei Vergewaltigung von ein auf zwei Jahre erhöht, bedingte Verurteilungen wird es nicht mehr geben. Die Strafen für Wiederholungstäter werden von zehn auf 15 Jahre angehoben.

Es handelt sich um Ergebnisse einer Taskforce, die knapp ein Jahr unter der Federführung von Staatssekretärin Karoline Edtstadler gearbeitet hat. Die Präsentation wurde vorgezogen: Einerseits aufgrund der aktuellen Gewaltserie gegen Frauen und andererseits, weil Sicherheit das beherrschende Thema im EU-Wahlkampf sein wird – und Edtstadler kandidiert für die ÖVP.

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Am stärksten dürfte die FPÖ das Thema für sich nutzen: Vizekanzler Heinz-Christian Strache sagte zur geplanten Novelle, bei Gewalt gegen Frauen und Kinder seien "nur harte Strafen zielführend".

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"Nur"? Nicht ganz – und das weiß auch die Regierung. Nach den Verschärfungen im Strafrecht, die am Wochenende bekannt wurden, präsentiert die Taskforce diese Woche Teil zwei: Opferschutz und Täterarbeit. Wie der KURIER vorab erfuhr, wird dabei ein Projekt wiederbelebt bzw. neu aufgestellt: Die sogenannten Fallkonferenzen zu Hochrisiko-Gewaltfällen.

Im Sommer 2018 wurde das Pilotprojekt "Marac" der Wiener Polizei eingestellt. Eine Evaluation hätte nicht den erhofften Nutzen ergeben – bei Gewalttaten sei unmittelbares Handeln gefragt, kein "zeitverzögertes Besprechen", erklärte man damals im Innenministerium.

Die Wiener Interventionsstelle, die das Projekt sieben Jahre lang betreut hatte, sah das anders und kritisierte die Einstellung heftig. Bei der Taskforce von Staatssekretärin Edtstadler wurden diese Rufe offenbar erhört: Die regelmäßigen Treffen zwischen Polizei, Opferschutzorganisationen und Vereinen, die sich der Täter annehmen, sollen jetzt neu aufgelegt werden.

Neuauflage von Projekt

Sinn dieser Treffen war, dass sich die betroffenen Stellen bei Hochrisiko-Fällen vernetzen, über den Stand der Dinge austauschen und ihre Schritte koordinieren.

Die Polizei soll die Leitung dieser Fallkonferenzen übernehmen. Neu ist, dass es einen Datenaustausch zwischen allen beteiligten Stellen geben soll, heißt es aus dem Büro der Staatssekretärin zum KURIER.

Damit dürfte eine lange Forderung der Täterarbeitsvereine erfüllt werden: Bislang wurden Männer bei Fällen von häuslicher Gewalt nach einer Wegweisung quasi sich selbst überlassen. Die Polizei durfte sie aus Datenschutzgründen nicht an Beratungsstellen vermitteln.

Diese Lücke soll nun geschlossen werden. Die Beratungsstellen können dann auf Gewalttäter zugehen und ihnen psychologische Betreuung oder Anti-Gewalttraining verordnen. Hilfe, zu der sie sonst erst nach einer Verurteilung verpflichtet werden.

Die Neuauflage wird Teil eines großen Maßnahmenpakets sein, das bis zum Sommer vorliegen soll. Details zu weiteren Präventionsmaßnahmen und Gesetzesverschärfungen werden morgen, Mittwoch, beim Ministerrat präsentiert.

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Expertenrat ignoriert

Doch was bringen höhere Strafen tatsächlich? "Damit will man die Bevölkerung beruhigen. Die Allgemeinheit soll das Gefühl haben, dass der Staat reagiert", sagt Udo Jesionek, Präsident der Opferschutz-Organisation "Weißer Ring". Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags nennt die Maßnahmen sogar "eher populistisch".

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Auch der Kriminologe Christian Grafl kam bereits vor Monaten zu diesem Schluss. Er hatte für die Taskforce ausgewertet, wie der vorhandene Strafrahmen genutzt wird. Sein Ergebnis damals: "Es kann keine Rede davon sein, dass wir dringend wieder eine Straferhöhung brauchen. Bei Sexualdelikten wird bereits hart gestraft. 80 Prozent der Ersttäter werden zu Freiheitsstrafen verurteilt."

Dem schließt sich Kollege Norbert Leonhardmair von Vicesse an: "Die Reform soll eine einfache Lösung für ein komplexes Problem sein." Ob dieser Ansatz greift, daran hegt er Zweifel. "Der Großteil von sexuellen Übergriffen passiert innerhalb der Familie oder im Bekanntenkreis. Ein höherer Strafrahmen schreckt da nicht ab."

Dass Opfer von Vergewaltigungen deshalb eher bereit sind, anzuzeigen, sei ebenfalls unwahrscheinlich, wie Jesionek sagt. "Den Opfern ist wichtig, dass der Täter verurteilt wird, dass das Unrecht erkannt wird. Nicht, dass er jetzt höhere Strafen zu befürchten hat."

Wichtiger sei es, dass die Behörden diese Anzeigen intensiver bearbeiten. Ermittlungen würden oft zu früh eingestellt, so die Kritik. "Künftig sollen Staatsanwälte zu weiteren Schritten verpflichtet sein", sagt Jesionek.

Oft steht Aussage gegen Aussage, oder die Opfer schweigen. Die Ermittlungen gestalten sich in solchen Fällen entsprechend schwierig.

Opfer und Täter im Fokus

Opferschutz-Organisationen sollen auch bei "situativer Gewalt" informiert werden. Bedeutet: Nicht nur in Fällen häuslicher Gewalt soll automatisch zwischen Beratungsstelle und Opfer Kontakt hergestellt werden, auch Opfer von "Zufallsgewalt", etwa auf der Straße, sollen entsprechend Hilfe bekommen.

Dass Opferschutz und Täterarbeit in den Fokus gerückt werden, wünschen sich auch die Richter. Denn: "Für höhere Strafen gibt es keinen Bedarf, wir erwarten uns davon keinen Effekt", meint Richterpräsidentin Sabine Matejka. "Wenn es so einfach wäre, wäre das schön."

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Richter würden einen gewissen Spielraum bei den Strafen benötigen, sagt sie zu den geplanten Mindeststrafen. "In jedem Fall müssen die konkreten Umstände, die Person des Täters und viele andere Faktoren berücksichtigt werden", sagt Matejka. Dass Vergewaltiger ins Gefängnis müssen, sei ja schon jetzt Strafpraxis.

Das bekräftigt auch Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Landesgerichts für Strafsachen: "Im Vordergrund muss stehen, dass die Organisationen, die mit Opfern und Tätern arbeiten, entsprechend dotiert werden. Und auch, dass es entsprechende psychologische Betreuung gibt."