Politik/Inland

Sondierungen: Die grüne Ruhe vor dem Sturm

Die Wahlnacht ist geschlagen, der Wiedereinzug in den Nationalrat geglückt - und jetzt stehen die Grünen vor der nächsten Herausforderung: Die Sondierungen mit der ÖVP, die Parteichef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz wohl nächste Woche starten wird.

Heute beraten der Grüne Bundesvorstand und die Länderspitzen (das sind Landessprecher, -Geschäftsführer und Landesräte) im großen Kreis darüber, wie sie sich in der Koalitionsfrage positionieren wollen. Für die Sondierungen will man bestmöglich vorbereitet sein - die Grünen, die bisher nur auf Landes- und Kommunalebene regiert haben, sind mit der ÖVP mit einem erfahrenen und verhandlungssicheren Gegenüber konfrontiert.

Klima, Transparenz, Kinderarmut

Grob abgesteckt soll heute auch werden, welche Themenschwerpunkte man setzen will. Das Klimathema ist Nummer eins, zudem kündigte Parteichef Werner Kogler bereits an, dass er als erstes ein umfassendes Transparenz- und Anti-Korruptionsgesetz und Maßnahmen gegen Kinderarmut angehen will.

Die Beratungen beginnen am Nachmittag und laufen mit offenem Ende bis in den Abend hinein - und zwar von den Medien abgeschirmt. Weder Zeit noch Ort sind bekannt. Ergebnisse will Kogler am Mittwochvormittag bei einer Pressekonferenz präsentieren.

Wahlkampfleiter Thimo Fiesel bittet um Verständnis: Man müsse sich erst orientieren, denn mit diesem Ergebnis (voraussichtlich 13,8 Prozent Stimmanteil und 26 Mandate, was eine Zweierkoalition mit der ÖVP ermöglicht) habe niemand gerechnet.

Keine "Message Control"

„Message Control“ ist der vorerst recht restriktive Umgang mit Informationen für Fiesel nicht. „Wir haben de facto keine andere Message als vor der Wahl: Wir sondieren, haben klare Inhalte und sehen wenige Überschneidungen mit der ÖVP“, meint Fiesel.

Am Donnerstag ist der Grünen-Chef bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen, und am Freitag tagt - teilweise medienöffentlich - der erweiterte Bundesvorstand (EBV) der Grünen in der Wiener Urania. Dieses Gremium trifft die finale Entscheidung über die Sondierungen und legt das Team dafür fest.

Sollte sich in der Folge die Frage stellen, ob wirkliche Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden, ist wiederum der EBV am Zug. Über ein fertiges Koalitionsabkommen und die (bei den Grünen geschlechterparitätisch zu besetzende) Ministerliste entscheidet am Ende der Bundeskongress als höchstes Gremium der Partei.

Vorerst war noch Skepsis angesagt. Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi sah die Koalitionschancen in der "ZiB2" des ORF „ein Stückchen“ unter 50 Prozent. „Mehr bewegen muss sich Sebastian Kurz, wenn er mit uns eine Koalition versuchen will“, meinte er. Sollte es dazu komme, solle man bei wesentlichen Fragen auch andere Parteien mit ins Boot holen, um das Problem der fehlenden türkis-grünen Mehrheit im Bundesrat zu lösen.

Das sagen internationale Medien über Türkis-Grün

Bloomberg (US-Nachrichtenagentur)
„Die Koalitionsgespräche könnten, wie das in Österreich so üblich ist, Monate dauern. Aber eine stabilere Regierung ist den Aufwand wert. Und es ist es auch wert, Europa, und insbesondere Deutschland, zu zeigen, dass eine Allianz zwischen der rechten Mitte und Umweltschützern funktionieren kann. Die Budgetdisziplin und wirtschaftsfreundliche Haltung der Konservativen könnte den Eifer der Grünen, den Planeten zu retten, ausbalancieren. Wenn die Parteien lernen, zusammenzuarbeiten und Kompromisse zu schließen, könnten sie eine dauerhafte Mehrheit schaffen - etwas, was die deutschen Konservativen zur Nachahmung verleiten könnte.“

New York Times (USA):
"Der plötzliche Aufwind bei den Grünen heißt, dass sie in der Position wären, eine Koalition mit Kurz' konservativer Partei einzugehen. Aber das würde Kompromisse von beiden Seiten erforderlich machen, besonders bei Themen, wo der Ex-Kanzler eine härtere Linie fahren will: Migration, Innenpolitik und Wohlfahrtsstaat.

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Financial Times (London):
„Es werden große politische Differenzen zu überbrücken sein. Aber eine gemeinsame Agenda zum Schutz der Umwelt und zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Österreich könnte Wählern beider Parteien gefallen. (...) In den vergangenen Jahren ist Österreich so etwas wie ein politisches Testgelände für Europa geworden. 2016 hat Sebastian Kurz den Weg für ein Wiederaufleben der Konservativen bereitet, indem er die politisch weit rechts stehende FPÖ in Sachen Immigration nachahmte und dann mit ihr eine Regierung bildete. Jetzt könnte er den Weg bahnen für eine Zusammenarbeit von Christdemokraten und Grünen auf nationaler Ebene - eine Kombination, die in Deutschland in der Ära nach Angela Merkel an die Macht kommen könnte.“

Daily Express (London):
„Es wird erwartet, dass die Koalitionsgespräche schwierig werden und Wochen dauern könnten. Grünen-Chef Werner Kogler sagte am Sonntagabend, dass seine Partei eine “radikale Veränderung„ der von der früheren Koalition vertretenen rechtsgerichteten Politik sehen möchte. Wenn das passiert, würde Österreich, eine wichtige Kraft innerhalb der EU, auf der linken Seite des Spektrums landen.“

La Vanguardia“ (Barcelona):
„Um mit den Grünen zu paktieren, müsste Kurz seine Migrationspolitik abmildern, die er gemeinsam mit der FPÖ entworfen hat, und Klimamaßnahmen wie Steuern auf fossile Brennstoffe setzen, die für den konservativen Wähler nur schwer zu akzeptieren wären. Ein nennenswerter Anteil der Wähler von Kurz sind Bauern und Unternehmer, die die Grünen verachten. Die Grün-Wähler tragen Kurz ihrerseits nach, dass er mit der extremen Rechten regiert hat und sind fortschrittlich im Sozialbereich, obwohl sie auch bürgerliche Wähler haben, die ein Bündnis mit der ÖVP tolerieren könnten. (...) Wenn Sebastian Kurz sich für eine Koalition mit den Grünen entscheidet, würde er auf die globale Pro-Klima-Welle aufspringen, was dazu beitragen könnte, dass Europa seine Ehejahre mit der extremen Rechten vergisst.“

El País (Madrid):
„Der 33-jährige Kurz hatte das Glück, den Skandal (um seinen damaligen Koalitionspartner FPÖ) unbeschadet zu überstehen. Und er war geschickt genug, um das Vertrauen der Wähler zurückzuerobern. Es ist nun zu hoffen, dass er die Lektion gelernt hat und dass er allen anderen politischen Kräften Österreichs zuhört, den Sozialdemokraten, den Liberalen und den Grünen, die ihn dazu auffordern, bei dieser zweiten Chance, die er nun bekommt, auf eine Wiederauflage einer Allianz zu verzichten, die sich als katastrophal erwiesen hat (...) Kurz sollte nicht ein zweites Mal über den selben Stein stolpern. Die extreme Rechte hat bereits gezeigt, was für ein Projekt sie für die österreichische Demokratie hat.“

La Stampa (Turin):
„Kurz und die Versuchung der Grünen: Eine Große Koalition für das Klima aufbauen. Das wäre der erste Fall dieser Art in Europa. Noch vor drei Tagen, vor der Wahl war die Distanz zwischen den Grünen und der ÖVP enorm. Heute scheinen die Farben grün und türkis gut zu verschmelzen“.