PISA: Österreich bleibt im Mittelfeld - Fehlt die Chancengleichheit?
Heute wurden zum bereits siebenten Mal die Ergebnisse der PISA-Studie vorgestellt. Insgesamt wurden weltweit rund 600.000 15- bis 16-jährige Schüler in rund 80 Ländern in den Disziplinen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet, in Österreich waren es etwa 7.800. Der Schwerpunkt lag diesmal auf dem Lesen.
Die Ergebnisse: Österreich hat 2018 ähnlich wie bei der letzten Erhebung 2015 abgeschnitten und liegt weiter in etwa im Schnitt der OECD-Staaten. Dominiert werden die Ranglisten im Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften von diversen chinesischen Regionen sowie Singapur, zeigt die am Dienstag veröffentlichte Erhebung.
Österreich erreichte beim diesjährigen Haupttestgebiet Lesen einen Mittelwert von 484 Punkten (2015: 485) und liegt damit im OECD-Schnitt (487). In den Naturwissenschaften waren es diesmal 490 Punkte (2015: 495), was ebenfalls dem OECD-Schnitt (489) entspricht. Am stärksten schnitten die heimischen 15- bis 16-Jährigen in der Mathematik (499 Punkte; 2015: 497) ab, hier lagen sie über dem OECD-Schnitt (489). Wobei gleichzeitig in allen drei Gebieten jedes 5. Kind in die sogenannte "Risikogruppe" fällt, also über keine entsprechenden Grundkompetenzen verfügt.
Anders als in den vergangenen PISA-Studien lag Österreich beim Lesen diesmal nicht statistisch signifikant unter dem OECD-Schnitt. Das lag allerdings nicht an einer besseren Leistung der heimischen Schüler, sondern am Absinken in anderen Staaten. Von Österreichs Nachbarländern erzielten Deutschland (498 Punkte) und Slowenien (495) signifikant bessere Leseleistungen, Schüler aus Italien, Ungarn (je 476) und der Slowakei (458) schnitten signifikant schlechter ab. Tschechien und die Schweiz lagen gleichauf mit Österreich. Europa-Spitzenreiter sind Estland (523 Punkte) und Finnland (520).
Im Zeitvergleich ist in Österreich, aber auch in den Vergleichsländern die Lesefreude der Schüler zurückgegangen. Zuletzt gaben 53 Prozent der getesteten Schüler an, sie würden nur lesen, wenn sie müssen. 35 Prozent gaben an, das Lesen sei für sie Zeitverschwendung.
SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid sieht für diese Entwicklung einen konkreten Grund: „Die Anstrengungen, die im Schulsystem in den letzten Jahren für die Leseförderung unternommen wurden, werden offenbar von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und der zunehmenden Smartphone-Nutzung schon bei jüngeren Kindern konterkariert“, sagt Hammerschmid. „Hier müssen wir neue Wege gehen, um Lesen wieder attraktiver zu machen – nämlich durchaus im Zusammenhang mit der Digitalisierung. PCs, Tablets und Smartphones sind SchülerInnen heute oft vertrauter als Bücher – wir müssen diese also nutzen, um die Freude am Lesen wieder zu erhöhen."
Österreichs Bildungsministerin Iris Rauskala rief bei der Präsentation der österreichischen Ergebnisse "zur Gelassenheit" auf. "Wir haben die Wahrnehmung, dass einige der Maßnahmen, die in den letzten Jahren eingeleitet wurden, durchaus die richtigen waren, aber wir können das von den Ergebnissen nicht direkt ableiten." Es brauche Geduld, bis man Ergebnisse tatsächlich ablesen könne.
Ein kleiner Erfolg: Der vormals markante Gender-Gap zwischen Mädchen und Burschen in Österreich ist ein wenig zurückgegangen. Gerade in Mathematik und beim Lesen besteht aber immer noch ein weit größerer Unterschied zwischen den Geschlechtern als im OECD-Schnitt. In den Naturwissenschaften gibt es keine signifikanten Geschlechterdifferenzen.
Das Bildungsministerium macht auch darauf aufmerksam, dass der Vergleich mit den Jahren vor 2012 nur mit Vorsicht getätigt werden kann, da es einen Bruch in der Analyse von Zeitreihen von 2012 auf 2015 gegeben habe und das Ausmaß der Änderungen - wie etwa die Umstellung auf eine Testung am Computer - nicht statistisch quantifizierbar sei.
Weitere Reaktionen aus der Politik ließen am Dienstagvormittag auf sich warten. Während in Deutschland Ministerin Anja Karliczek (CDU) trotz besseren Abschneidens als hierzulande eine "nationale Kraftanstrengung" forderte, waren aus den Parteizentralen keine Forderungen zu vernehmen. Lediglich die FPÖ machte darauf aufmerksam, dass Kinder mit Migrationshintergrund deutlich schlechter abgeschnitten hätten.
Handlungsbedarf bei Chancengleichheit
Beim letzten Test 2015 lagen die österreichischen Schüler im damaligen Haupttestgebiet Naturwissenschaften mit 495 Punkten in etwa im OECD-Schnitt (493), beim Lesen mit 485 Punkten signifikant unter dem OECD-Mittelwert (494) und in der Mathematik mit 497 über dem OECD-Schnitt (490). Dominiert wurden die Ranglisten von fernöstlichen Staaten bzw. Regionen wie Singapur, Hongkong und Japan. Beste europäische Staaten waren Finnland und Estland.
In allen drei aktuell getesteten Gebieten zeigte sich, dass eine höhere Bildung der Eltern deutlich mit besseren Ergebnissen der Schüler einhergeht. Das ist zwar kein österreichisches Phänomen, aber in Österreich besonders ausgeprägt. "Bei der Chancengleichheit besteht daher weiterhin Handlungsbedarf", heißt es aus dem Bildungsministerium.
"Müssen Hebel ansetzen"
So sieht das auch die Grüne Nationalratsabgeordnete Sibylle Hamann. „Österreich gehört zu jenen Ländern, in denen Bildung am stärksten vererbt wird. Daher ist auch hier der Hebel anzusetzen, wenn wir eine echte Trendwende anstreben“, sagt sie. „Auch, dass es beim Lesen einen derart großen Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund gibt, zeigt grundsätzliche Schwächen unseres Bildungssystems.“
„Lesen und Sprache sind der Schlüssel für Bildung, für gute Berufsentscheidungen und für ein selbstbestimmtes Leben“, betont Hamann. „Dass in Österreich viele Kinder ihr Potential nicht voll ausschöpfen können, ist eine gigantische Verschwendung von Ressourcen, die wir uns eigentlich nicht leisten können. Hier brauchen wir eine Sprachoffensive und auch die notwendigen Mittel dafür.“
Die Arbeiterkammer nimmt die jüngsten PISA-Ergebnisse zum Anlass, ihre Forderung einer Schulfinanzierung nach Chancenindex zu wiederholen: Schulen müssen mehr Mittel bekommen, wenn sie viele Schüler haben, deren Eltern darum kämpfen müssen, dass die Kinder in der Schule mitkommen.
Auch die Sprachbarriere spiele eine Rolle. Die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund sei in Österreich kontinuierlich gestiegen. Drei Viertel der Kinder mit Migrationshintergrund sprechen im Alltag nicht die Testsprache Deutsch.
In Österreich wurde der PISA-Test wie in der Mehrzahl der Teilnehmerstaaten ausschließlich am Computer durchgeführt. Der Test selbst dauerte zwei Stunden, für das Ausfüllen eines Fragebogens waren noch einmal 50 Minuten veranschlagt. Erhoben wurden die Daten bereits im April und Mai 2018 - in Österreich an mehr als 300 Schulen aller Sparten, in die Schüler des Geburtsjahrgangs 2002 gehen können. Das sind AHS, berufsbildende mittlere und höhere Schulen (BMHS), Neue Mittelschulen (NMS), Polytechnische Schulen, Sonderschulen und Berufsschulen.
PISA testet dabei nicht Lehrplanvorgaben ab - das wäre aufgrund der unterschiedlichen Curricula in den 80 Ländern auch gar nicht möglich. Im Mittelpunkt steht weniger Faktenwissen, sondern die Anwendung bestimmter Kompetenzen auf praxisnahe Aufgaben. Zu lösen waren sowohl Multiple-Choice-Aufgaben als auch offene Aufgaben, bei denen selbst eine Antwort formuliert werden musste. Außerdem mussten Aussagen oder Textteile mit Drag-and-Drop in die richtige Reihenfolge gebracht, im Text ein fehlendes Wort aus einem Drop-down-Menü ausgewählt oder in Naturwissenschaft Computersimulationen ausgeführt werden.
Durch den weitgehenden Computereinsatz möglich wurde diesmal erstmals eine leichte Neugestaltung des Testablaufs, schilderte der PISA-"Erfinder" und OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei einem Webinar. Schüler bekamen demnach nicht mehr am Beginn des Tests ein fix vorgegebenes Aufgabenheft. Vielmehr enthielt nur der erste Aufgabenblock mittelschwere Angaben - anschließend bekamen jene Schüler, die diesen gut gelöst hatten, einen Block mit schwierigeren Aufgaben eingespielt und jene, die nicht gut abgeschnitten hatten, einen Block mit leichteren usw.
Diese adaptive Herangehensweise sollte verhindern, dass leistungsstärkere Schüler den Test nach einiger Zeit nicht mehr ernst nehmen bzw. leistungsschwächere nicht frustriert hinschmeißen. Die Resultate seien trotzdem vergleichbar, da jede Frage einen vorbestimmten Schwierigkeitsgrad habe. Für die Lösung schwerere Aufgaben gibt es demnach mehr Punkte, für leichtere weniger - ein ausreichender Teil der Fragen bleibe außerdem konstant, so Schleicher.