Scheidender Caritas-Chef Landau: "Man kann nicht Antisemit und Christ sein"
Nach zehn Jahren als Caritas-Präsident hört Michael Landau im Jänner 2024 auf. Seine Nachfolgerin Nora Tödtling-Musenbichler ist die erste Frau an der Spitze der Caritas.
In seiner letzten ORF-"Pressestunde" in der jetzigen Funktion nahm Landau am Sonntag noch einmal Stellung zur Signa-Pleite, zu Armut und Antisemitismus - und sagt, dass die "Regierung unter ihrem Wert geschlagen werde".
Armutsbekämpfung
Angesichts der Schieflage der Signa und einzelnen bereits erfolgten Pleiten im Firmengeflecht von René Benko hinterfragt der scheidende Caritas-Chef den Umgang mit öffentlichen Mitteln in Österreich.
"Ich gehe davon aus, dass erhebliche Beträge bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern landen werden." Wenn es um Armutsbekämpfung gehe falle ihm aber auf, mit welcher Präzision man jeden Euro verteidigen müsse.
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Eine Erbschafts- oder Vermögenssteuer forderte er abermals nicht direkt, aber: "Ich glaube, dass wir alle diese Dinge ohne Tabus diskutieren sollen." Landaus designierte Nachfolgerin Tödtling-Musenbichler hatte die Einführung von Erbschaftssteuern im Standard zumindest als einen "Weg, den wir verfolgen sollten" bezeichnet. Ihr Vorgänger Landau bleibt hingegen dabei: "Ich bin Armutsexperte, nicht Steuerexperte."
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Diplomatisch gibt sich Landau auch weiterhin, was Kritik an den politischen Verantwortungsträgern betrifft. Zum an die Öffentlichkeit gelangten Video, in dem ÖVP-Obmann Karl Nehammer vor Funktionären die Armutsgefährdung relativiert und Hamburger als Beispiel für preiswerte Mahlzeiten ausgeschildert hatte, meint der langjährige Caritas-Präsident: "Ich glaube, der Herr Bundeskanzler würde das heute nicht mehr so formulieren."
Vertrauen
Bei anderen Themen werde die Regierung unter ihrem Wert geschlagen, befand Landau. So sei die aktuelle türkis-grüne Koalition die erste, die tatsächlich im Bereich der Pflege Reformen auf den Weg gebracht habe.
Verbesserungsbedarf sieht Landau weiterhin etwa bei der Sozialhilfe. Und auch im Umgang Miteinander müsse man - angesichts des kommenden Wahljahres - mehr Bereitschaft zum gegenseitigen Respekt finden.
Dass sich die Caritas im am Sonntag veröffentlichten OGM/APA-Vertrauensindex vergleichen mit anderen Organisationen - etwa im Gesundheitsbereich - recht weit hinten befindet, will Landau noch analysieren. "Nicht alle haben eine Freude über das, was wir sagen", begründete er die teilweise Ablehnung.
Immerhin seien die Daten aber "ein Stückchen besser als 2019". Nimmt man außerdem den aktuellen Spendenindex her, verzeichne die Caritas ein recht hohes Aufkommen.
"Nur menschliches Blut"
Themenwechsel zu Israel: Mit Blick auf die aktuelle Situation zitiert er die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die jetzt 102 Jahre alt ist: "Es gibt kein christliches, kein muslimisches oder jüdisches Blut - es gibt nur menschliches Blut. Und davon ist in den vergangenen Wochen viel zu viel vergossen worden."
Er hoffe jedenfalls auf Frieden - und betont: "Wir können nicht nur, wir müssen mit beiden Seiten Mitleid haben."
"Religion keine friedliche Angelegenheit"
Was die Häufung an antisemitischen Vorfällen in Österreich betrifft, sagt Landau, dass er froh sei über die klare Haltung der Regierung und das rasche Einschreiten der Polizei bei den palästinensichen Jubel-Kundgebungen in Wien.
Es gibt bekanntlich nicht nur rechten, sondern auch linken Antisemitismus, importierten und vorhandenen. Und einen religiösen. Wurde da zu lange weggeschaut? Für ihn sei klar, so Landau: "Religion ist nicht per se eine friedliche Angelegenheit, sie kann missbraucht werden."
Kardinal Christoph Schönborn habe zu diesem Thema schon immer eine "sehr klare Sprache" gehabt. "Man kann nicht Antisemit und Christ sein", so Landau.
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