Neo-Kanzler Schallenberg verteidigt Kurz: "Halte die Vorwürfe für falsch"
Schon das Außenministerium war nicht Teil seiner Lebensplanung. Nun ist es gar das Kanzleramt geworden. Österreich hat einen neuen Bundeskanzler: Alexander Schallenberg.
Zuletzt wirkte der Top-Diplomat als Außenminister, in die Tagespolitik hat sich der Jurist bislang selten verirrt. Dass der 53-jährige Schallenberg nun öfter auf dem innenpolitischen Parkett tanzen wird, hat sich am Samstag abgezeichnet, am Sonntag bestätigt.
Gemäß der Verfassung wurde Alexander Schallenberg heute um 13 Uhr in der Hofburg von Bundespräsident Van der Bellen angelobt. Michael Linhart, bislang Botschafter in Paris, wurde zum Nachfolger Schallenbergs zum Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten bestellt.
In seiner ersten Rede als Bundeskanzler sagte Schallenberg, es sei "eine große Ehre, die ich mir nie erwartet und nie gewünscht habe". Der gelernte Diplomat erklärte, er werde "selbstverständlich" eng mit Sebastian Kurz zusammenarbeiten. "Alles andere wäre demokratiepolitisch absurd."
Kein Schattenkanzler
Kurz selbst sicherte dem neuen Kanzler seine Unterstützung zu und betonte: „Ich bin kein Schattenkanzler“. In einem schriftlichen Statement reagierte Kurz damit auf die Kritik der Opposition, dass er auch nach seinem Ausscheiden in der Bundesregierung weiter die Richtung vorgeben werde. „Die kommenden Tage werde ich auf Hochtouren arbeiten, um eine geordnete Übergabe sicherzustellen“, sagte Kurz in einer Erklärung.
Bemerkenswert am ersten Statement des neuen Regierungschefs Alexander Schallenberg war, dass sich dieser darauf festgelegt hat, dass die im Raum stehenden Vorwürfe gegen Sebastian Kurz nicht stimmen. "Ich halte sie für falsch." Gemeinsam mit Werner Kogler werde er nun alles daran setzen, entstandene Gräben zuzuschütten. "Das sind wir den Österreichern schuldig."
Große Herausforderungen
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach von "großer Verantwortung", die die neu formierte Bundesregierung jetzt trage. Das Vertrauen in die Politik müsse wieder hergestellt werden. Das bedürfe "harter und konzentrierter, konstruktiver Arbeit", so Van der Bellen. "Es ist gerade in diesen Zeiten eine chancenreiche Aufgabe." "Wir erwarten alle, dass die Regierung wieder gemeinsam an die Arbeit geht und gemeinsam was weiterbringt."
Schallenberg würde als Diplomat ja gut wissen, wie man gegensätzliche Positionen auf einen Nenner bringe und zu einer guten Lösung komme. Van der Bellen vertraue darauf, dass es den Koalitionspartnern gelinge, eine "stabile Basis" zu schaffen. So würde es auch darum gehen, das "gegenseitige Vertrauen zu pflegen."
Herausforderungen würden derer genug harren: die Corona-Pandemie, die Wirtschaft, am Arbeitsmarkt, in der Bildung und Wissenschaft, auch der Sozialbereich brauche "volle Aufmerksamkeit". Zuletzt stünde wohl die "größte Herausforderung" bevor: die Rettung des Klimas. "Und natürlich brauchen wir ein Budget." "Die Herausforderungen vor denen wir stehen, dulden keine Aufschub," mahnte der Bundespräsident.
Für Linhart sei die Situation wohl eine "überraschende", so Van der Bellen. "Gestern noch Paris - heute vor Maria Theresia in der Hofburg."
Kurz trat "zur Seite"
Alexander Schallenberg wurde von Sebastian Kurz als Nachfolger vorgeschlagen. Zu groß war der Druck auf Sebastian Kurz geworden, nachdem Vorwürfe der Untreue und Bestechung gegen ihn laut wurden. Und so tat der 35-Jährige am Samstag einen "Schritt zur Seite" und kündigte seinen Rückzug aus dem Kanzleramt an. "Was es jetzt braucht, sind stabile Verhältnisse“, so Kurz in seiner Abschiedsrede. Kurz bleibt Parteichef und wird Seite an Seite mit August Wöginger als Klubobmann wirken und werken.
Seinem Nachfolger streute Kurz am Samstag Rosen: "Alexander Schallenberg hat nicht nur gute Arbeit als Außenminister geleistet, er hat auch schon in der Übergangsregierung eine wichtige Rolle eingenommen. Und ich glaube, er verfügt auch über das notwendige diplomatische Geschick, das es vielleicht braucht, damit wir alle innerhalb der Koalition zwischen den Koalitionsparteien Vertrauen wieder aufbauen.“
Überraschung für Schallenberg
Schallenberg dürfte im Vorfeld nicht mit seinem Aufstieg gerechnet haben und sprach von einer "Überraschung" und einer "enorm herausfordernden Aufgabe und Zeit für uns alle."
Der grüne Vizekanzler Werner Kogler hat sich gestern Abend bereits mit dem designierten Regierungschef zum Vier-Augen-Gespräch getroffen und war danach guter Dinge, nun "ein neues Kapitel in der Regierungszusammenarbeit aufzuschlagen". Bei dem Treffen wurde "in vertrauensvoller Atmosphäre" das weitere Vorgehen besprochen. Ergebnis: "Die vielen Vorhaben, die geplant sind, wie die Ökosoziale Steuerreform oder das Budget, werden wie geplant weiter umgesetzt."
Ganz so reibungslos dürfte die Zusammenarbeit mit den Grünen aber nicht werden. Schallenberg gilt als Hardliner in der Flüchtlingspolitik – mit teilweise harter Rhetorik. So kritisierte er etwa das "Geschrei" nach der Verteilung von Flüchtlingen, als das griechische Flüchtlingslager in Moria in Flammen stand.
Mehrfach schloss der vierfache Vater Schallenberg bei der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan aus, Flüchtlinge in Österreich aufzunehmen und beschwor die Türkisen-Formel der "Hilfe vor Ort". Für Aufsehen sorgte Schallenberg auch mit dem Hissen der israelischen Fahne auf seinem Regierungsgebäude als Reaktion auf die Eskalation in Nahost vergangenen Mai.
Kurz-Vertrauter
Schallenberg gilt als Vertrauter Kurz´, in den engsten Kreis um Sebastian Kurz hat er es allerdings nicht geschafft. Als Kurz die Agenden des Außenministers übernahm, beförderte er Schallenberg zum Leiter für "strategische außenpolitische Planung".
Auch in den Regierungsverhandlungen nach der Nationalratswahl 2017 zählte Kurz auf ihn. So folgte der ausgewiesene Europaexperte ihm auch ins Bundeskanzleramt, wo er während der türkis-blauen Regierungszeit die Stabsstelle Strategie und Planung leitete.
Zu Ministerehren kam Schallenberg in der Experten-Regierung nach Ibiza: Unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wurde Schallenberg am 3. Juni 2019 zum Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres bestellt. Am 6. Juni wurde er zusätzlich zum Kanzleramtsminister ernannt und hat dabei enge Vertraute von Kurz ins Kanzleramt geholt.
Die Opposition meint deshalb schon, dass das System Kurz unter Schallenberg eine Fortsetzung finden werde. SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner nennt den neuen Kanzler einen "türkisen Überzeugungstäter". Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger meinte in Richtung Kurz: "Als Klubobmann hält er weiter alle Fäden der Macht in seiner Hand." FP-Chef Herbert Kickl urteilte: "Kurz mag als Kanzler weg sein - aber das türkise System ist nach wie vor voll da."
Schattenkanzler Kurz
Dass Kurz in der Regierung als "Schattenkanzler" weiter die Fäden ziehen wird, erwarten auch Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle und Politikberater Thomas Hofer im APA-Gespräch.
Schallenberg ist "keine Puppe"
Kurz werde Neo-Kanzler Schallenberg sicher nicht jeden Tag overrulen oder bloßstellen, so Hofer, er werde aber als Klubobmann die ÖVP-Linie bestimmen.
Dass Schallenberg nur interimistisch Bundeskanzler werden könnte wurde am Sonntag als unwahrscheinlich erachtet. Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer erklärte am Sonntag, sie könne Kurz' Rückkehr ins Kanzleramt in dieser Legislaturperiode "ausschließen" und deponierte die Hoffnung, dass die türkis-grüne Koalition jetzt bis zu den nächsten regulären Wahlen 2024 hält. Und der steirische ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer betonte gegenüber dem ORF, dass Schallenberg "keine Puppe" und sein Aufstieg ins Kanzleramt "auf Dauer" sei.