Paket gegen Hass im Netz: "Wir zeigen, wo sich der Spaß aufhört"
Vor zwei Monaten standen sie schon einmal in dieser Konstellation vor den Medien: Karoline Edtstadler, Ministerin für Europa und Verfassung, Alma Zadic, Justizministerin, Susanne Raab, Frauenministerin, und Sigrid Maurer, Klubobfrau der Grünen.
Die vier Politikerinnen von Türkis und Grün haben Hass im Netz schon am eigenen Leib erfahren und damals zu viert angekündigt, Frauen und Mädchen davor schützen zu wollen.
Jetzt, nach einiger Verzögerung, ist es soweit: Das Paket gegen Hass im Netz wird in Begutachtung geschickt.
Und das sind die Bestandteile:
1. Schnellverfahren für Opfer:
Viele Delikte, die bei Hass im Netz vorkommen, mussten auf dem zivilrechtlichen Weg bekämpft werden - etwa über eine Unterlassungsklage. Dieser Rechtsweg ist für Opfer aber langwierig, teuer - und riskant. Sie könnten auf den Prozesskosten sitzen bleiben.
Die Folge: "Viele Menschen haben sich aus dem Netz zurückgezogen, weil sie sich diesem Hass nicht mehr aussetzen wollen", erklärt Justizministerin Zadic.
Jetzt wurde ein neues Zivilverfahren geschaffen - der Unterlassungsbefehl soll binnen weniger Tage kommen.
Wie das abläuft? "Jede Person, die im Internet beleidigt wird, kann sich mittels Formblatt, das auf der Seite des Justizministeriums abrufbar ist, an das Gericht wenden", erklärt Zadic. "Der Täter ist dann gezwungen, das Posting zu löschen. Sollte das nicht passieren, kann man ein Exekutionsverfahren führen, das letztendlich zu einer Beugestrafe führen kann."
Die Kosten, die vor Gericht entstehen, werden für die nächsten drei Jahre ausgesetzt. "Wir wollen Betroffenen die Möglichkeit geben, zu Gericht zu gehen und sich zur Wehr zu setzen. Je mehr, desto effektiver ist der Rechtsschutz im Internet", sagt Zadic. Nach drei Jahren wird evaluiert, wie das Angebot angenommen wurde.
2. Verschärfungen im Strafrecht:
Der Cybermobbing-Paragraf wird ausgeweitet: Derzeit muss es mehrfach zu Belästigungen kommen, damit der Paragraf greift. Künftig reicht ein einmaliges Hochladen, erklärt die Justizministerin.
Dazu zählen übrigens nicht nur Postings, sondern auch Direktnachrichten - etwa über WhatsApp oder per SMS.
Ausgeweitet wird auch der Verhetzungs-Paragraf: Aktuell greift dieser, wenn gegen eine Personengruppe gehetzt wird, künftig greift er auch, wenn es eine Einzelperson betrifft, die einer Gruppe angehört - etwa aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder Nationalität.
Neu ist: Darunter fällt auch, wenn eine Person aufgrund ihres Berufs im Netz beschimpft wird: Mitarbeiter von NGOs oder Polizisten seien davon betroffen, sagt Zadic als Beispiel. Wenn das Ansehen der Institution beschädigt wird, kann auch der Arbeitgeber eingreifen und sich an das Gericht wenden.
3. Plattformen müssen Postings löschen
Das Kernstück von Ministerin Edtstadler wurde bereits am Mittwochabend publik, weil der Gesetzesentwurf zur Prüfung an die EU-Kommission geschickt und dort online veröffentlicht wurde (mehr dazu unten).
Es handelt sich dabei um das neue "Kommunikationsplattformen-Gesetz" - Österreich ist damit nach Deutschland und Frankreich (wo das Gesetz aber aufgehoben wurde) eines von drei Ländern in der EU, das die Verantwortung großer Internetplattformen gesetzlich reguliert.
Einerseits sollen Plattformen künftig Postings, die Straftatbeständen wie Beleidigung, Drohung, Erpressung oder Nötigung entsprechen, binnen 24 Stunden löschen, bei komplizierteren Fällen binnen sieben Tagen.
Die Plattformen müssen zudem einen Verantwortlichen in Österreich benennen, der für die Löschung zuständig ist. Und drittens müssen die Plattformen über ihre Lösch-Praxis einen Bericht abliefern.
Kritiker befürchten, dass durch zu schnelles Löschen die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Gegen das so genannte "Overblocking" hat die Regierung aber einen Mechanismus eingerichtet: Wer meint, dass sein Posting zu Unrecht gelöscht worden ist, kann eine Überprüfung anfordern. In Frankreich wurde ein ähnliches Gesetz vom Verfassungsgericht gekippt, weil es eben keinen ausreichenden Schutz gegen "Overblocking" gab.
Nach geltendem Recht sind Plattformen schon jetzt verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen, sagt Edtstadler. "Wir wissen aber aus Erfahrung, dass das unbefriedigend umgesetzt wird. Plattformen sind oft nicht erreichbar. Für die Opfer ist das extrem belastend."
Unter die Regelung sollen Plattformen mit mehr als 100.000 Usern und mehr als 500.000 Euro Jahresumsatz fallen. Ausgenommen sind Enzyklopädien wie Wikipedia, Handelsplattformen wie Willhaben sowie Zeitungsforen. Für Zeitungen gelte schon jetzt eine erhöhte Sorgfaltspflicht nach dem Mediengesetz, erklärt Ministerin Edtstadler.
Die Strafen können bis zu zehn Millionen Euro betragen. "Das ist hoch, aber das ist notwendig, um ernst genommen zu werden", betont die Ministerin. "Wenn man sich an österreichische Gesetze hält, dann hat man auch nichts zu befürchten."
Sie betont aber auch, dass es nicht um einzelne Verstöße, sondern um systematische Rechtsverletzungen gehen soll.
Und als Verfassungsministerin hebt sie hervor: "Wir wollen ein ordentliches Begutachtungsverfahren mit langer Frist. Experten sind eingeladen, uns Anregungen zu geben. Gemeinsam wollen wir den bestmöglichen Schutz erreichen."
4. "Spanner-Fotos" werden bestraft
Frauenministerin Raab hat sich im Paket für ein Verbot des "Upskirting" eingesetzt - einen laut Raab "weit verbreiteten Trend unter Jugendlichen". Das ist das heimliche Fotografieren oder Filmen unter den Rock oder in den Ausschnitt. "Es passiert am Schulhof, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in der Umkleidekabine", erklärt sie. Verboten war das bisher nicht.
Jetzt soll unbefugtes, absichtliches Fotografieren ohne Einwilligung sowie das Verbreiten dieser Fotos, zum Beispiel im Internet, mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden.
Laut Raab ist das Gesetzespaket "ein Meilenstein für Frauen und Mädchen in der digitalen Welt". Rund ein Drittel von 1.000 befragten Frauen haben in einer Umfrage angegeben, schon einmal Hass im Netz erfahren zu haben. Bei den 15- bis 18-Jährigen sind es sogar fast zwei Drittel.
"Es ist nicht leicht, es braucht ganz viel Mut und Kraft, sich dagegen zu wehren", sagt Raab in Richtung der Betroffenen, die sie bestärken möchte. Denn: "Wir zeigen mit diesem Paket, wo sich der Spaß aufhört."
Türkis-grüne Frauen sind persönlich betroffen
Die vierte im Bunde ist die grüne Klubchefin Sigrid Maurer. Hass im Netz beschäftige Politikerinnen täglich, sagt sie. "Das ist normal, das gehört zum Geschäft. Wir haben Anwälte und ein Social-Media-Team, das diesen Dreck löscht. Aber die meisten Opfer haben das nicht."
Vieles, was da im Netz kursiert, sei nicht klagbar. "Frauen, die sich an mich gewendet haben, konnte ich nur sagen, sie sollen sich beraten lassen, aber in den meisten Fällen konnte man nichts tun."
Als Beispiele nennt Maurer den Fall einer Frau, von der ein Nacktfoto verschickt wurde. Weil es nur ein Mal gepostet wurde, hat der Cybermobbing-Paragraf nicht gegriffen. Oder der Fall einer Frau, der eine Vergewaltigung angedroht wurde - der Täter hat das nur nicht ausreichend detailliert beschrieben, deshalb wurde die Verletzung ihrer Menschenwürde nicht anerkannt.
Das ändere sich jetzt "schlagartig", sagt Maurer: Mit der Ausweitung des Cybermobbing- und des Verhetzungsparagrafen sei eine breitere Grundlage geschaffen.
Mit dem Paket gegen Hass im Netz sei nun ein "kleiner Endpunkt eines langen Kampfes" gesetzt - für sie selbst aber auch für viele andere Frauen, die sich lange mit dem Thema beschäftigt haben.
Verfahren gegen Bierwirt geht am 11. September weiter
In den zwei Jahren, in denen die Grünen nicht im Parlament waren, hat sie sich persönlich gegen Hass im Netz bzw. die #metoo-Bewegung eingesetzt. Berühmt ist sie dabei mit dem Kampf gegen einen Wiener Bierwirt geworden, der ihr obszöne Nachrichten geschickt hat.
Als sie die Nachrichten veröffentlicht hat, hat er sie angezeigt - und das Verfahren in erster Instanz gewonnen. Ab 11. September wird neu verhandelt. Maurer hofft auf einen Freispruch.
Das, was ihr widerfahren ist, könnte mit dem neuen Paket übrigens auch bekämpft werden, sagt Maurer. Das Schnellverfahren hätte den Bierwirt binnen weniger Tage zur Unterlassung zwingen können - ohne, dass eine Verhandlung anberaumt werden muss. Und er hätte wohl die 107 Euro an Gerichtsgebühren bezahlen müssen.
Morddrohungen gegen schwangere Zadic
Aktuell ist übrigens Justizministerin Zadic betroffen: Nachdem sie auf Facebook angekündigt hatte, dass sie ein Kind erwartet, gab es Morddrohungen. "Du wirst die Geburt deines Kindes nicht erleben", hieß es da etwa.
Auf Nachfrage möchte Zadic das nicht weiter kommentieren. Die Staatsanwaltschaft würde dem nachgehen, sagte sie nur. Mit dem Paket, das jetzt in Begutachtung geschickt hat, hofft sie aber, dass anderen Frauen künftig so etwas erspart bleibt.
Kritik: "Konzern-Praktikanten urteilen"
Die Opposition im Parlament wirkte vom Gesetzespaket nicht ganz so begeistert:
Katharina Kucharowits, netzpolitische Sprecherin des SPÖ-Parlamentsklubs, zeigte sich in einer Aussendung skeptisch. Der Gesetzesentwurf übergebe die Verantwortung zur Löschung von Inhalten wieder den großen Plattformen selbst, kritisierte sie. "Die Entscheidung, ob etwas verboten oder erlaubt ist, muss eine staatliche bzw. unabhängige Stelle treffen und nicht ein privater Online-Monopolist", forderte die Abgeordnete.
FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst sieht das neue Kommunikationsplattformen-Gesetz nicht als Paket gegen Hass im Netz, sondern als Justiz-Entlastungspaket. Man führe eine neue Beschwerdestruktur ein, in der US-Konzerne darüber entscheiden, wer auf Twitter, Facebook oder auch in der WhatsApp-Familiengruppe was schreiben darf, befürchtet Fürst. "Statt österreichischer Juristen werden zukünftig Praktikanten von Großkonzernen - auf Zuruf - über Österreicher urteilen", kritisierte die Freiheitliche.
Fürst sieht in dem Paket der Regierung außerdem einen "weiteren Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte", wie sie sagte. "Unter dem Vorwand, eine bessere und schnellere Rechtsdurchsetzung zum Beispiel für Mobbingopfer gewährleisten zu können, will die Regierung missliebige Meinungen kriminalisieren lassen", vermutet Fürst.
Die NEOS sehen das neue Gesetz zu Hass im Netz grundsätzlich positiv, vermissen aber die Zielgenauigkeit, teilten sie am Donnerstag mit. "Jedes Gesetz, das Opferrechte stärkt und es Betroffenen leichter macht, gegen Hass im Netz vorzugehen, ist zu begrüßen", reagierte NEOS-Digitalisierungssprecher Douglas Hoyos auf den Gesetzesvorschlag. Allerdings sind ihm die Pläne nicht treffsicher genug. "Entgegen der Absicht der Ministerinnen, hauptsächlich die großen Plattformen erwischen zu wollen, sind die Grenzen mit 100.000 Userinnen und Usern und 500.000 Euro Umsatz zu niedrig", kritisierte er.