Rendi-Wagner stellt Kanzlerin-Anspruch: "Werden die Scherben wegräumen"
Von Daniela Kittner
Pamela Rendi-Wagners großer Auftritt am Sonntagmorgen beginnt mit einem Einmarsch der besonderen Art. Wer kann schon fünf Bundeskanzler als Begleiter aufbieten? Flankiert von Franz Vranitzky und Viktor Klima, gefolgt von Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern betritt Rendi-Wagner den großen Saal in der Akademie der Wissenschaften in der Wiener Innenstadt. Das beabsichtigte Signal ist offenkundig: Rendi-Wagner soll die Reihe der SPÖ-Kanzler fortsetzen.
Die Standing Ovations für Rendi und die fünf ehemaligen Regierungschefs wollen kein Ende nehmen, obwohl die Rede noch gar nicht begonnen hat. Im Publikum die Landeshauptleute Michael Ludwig und Peter Kaiser, der ehemalige SP-Fraktionsführer im EU-Parlament Hannes Swoboda, Ex-Siemens-Managerin Brigitte Ederer, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, AK-Chefin Renate Anderl, die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und Alt-Bundespräsident Heinz Fischer. Extra-Ovationen erhält ein besonderer Ehrengast: Wassyl Chymynez, Botschafter der Ukraine in Österreich.
Rendi-Wagner bleibt gleich beim Thema und beginnt ihre Rede mit dem „schrecklichen Angriffskrieg auf ein souveränes Land“. Sie versichert dem Botschafter: „Volle Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und unser tiefstes Mitgefühl für die Opfer und deren Familien“. Österreich werde nach seinen Möglichkeiten helfen, mit Sanktionen, mit Flüchtlingshilfe und Bemühungen, „diesen Krieg so rasch wie möglich zu beenden“.
Österreich sei ein neutrales Land, die Neutralität stehe für die SPÖ nicht zur Disposition, aber Österreich habe „nie geschwiegen. 1956 nicht, 1968 nicht, auch 2022 schweigt Österreich nicht. Recht muss Recht bleiben, unabhängig von der Stärke des Gegners“.
"Stolz auf die EU"
Die EU hat auf den Überfall auf die Ukraine „sehr entschlossen und geschlossen geantwortet, darauf bin ich stolz“, sagt Rendi Wagner.
Der russische Angriffskrieg sei auch eine „frontale Attacke auf Frieden, Sicherheit und Völkerverständigung“. Die EU sei ein Pfeiler auch für Österreichs Sicherheit, und dass Österreich heute fest in Europa verankert sei, sei ein historisches Verdienst der Regierung Vranitzky, der damaligen EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer und von Ex-ÖVP-Chef und Vizekanzler Erhard Busek.
Rendi definiert neutrale Außenpolitik
Österreich solle engagiert und aktiv eine Rolle als Vermittler, als Gesprächspartner spielen, aber keinem Militärbündnis beitreten. Österreich solle an friedensschaffenden Missionen im Rahmen der UN teilnehmen, aber nicht die Neutralität aufgeben. Es gehe nicht darum, ob heute etwas „in“ ist oder nicht, die Neutralität sei „kein Modetrend“. Österreichs Auftrag sei eine „aktive Außen- und Friedenspolitik“.
Die Neutralität ernstnehmen heiße auch, das Bundesheer ernst zu nehmen. „Wer Freiheit und Demokratie bewahren will, darf nicht wehrlos sein.“ Das Heer müsse so ausgestattet sein, dass es Freiheit, Demokratie und Souveränität verteidigen“ könne. Sie räumt ein, dass sich die Sozialdemokratie immer schwer getan habe, „Sicherheit umfassend zu denken“, die SPÖ habe sich immer auf soziale Sicherheit konzentriert. Aber, so Rendi-Wagner, „soziale und innere Sicherheit gehören zusammen“.
"Verlorene Jahre seit 2017"
Die SPÖ werde alles tun, damit das Land wieder sozialdemokratisch geführt werde, um daran anzuknüpfen, was SPÖ-Kanzler geschafft haben.
Die Jahre seit dem Ende roter Kanzlerschaften seien verlorene Jahre gewesen, die Regierungen seither hätten „einen Scherbenhaufen hinterlassen“. Rendi-Wagner: „Wir werden die Scherben wegräumen, wir werden das Ansehen Österreichs in der Welt wiederherstellen“. Es sei Zeit für die nächste sozialdemokratische Bundeskanzlerin in Österreich.
ÖVP habe breite Mittelschicht zerstört
Rendi-Wagner wirft der ÖVP vor, dass es in Österreich keine breite Mittelschicht mehr gebe, die aber wichtig für Stabilität und Wohlstand sei. Hingegen nehme die Armut zu, die Chancen für Aufstieg und Wohlstand seien heute ungleich verteilt. Die Arbeit der SPÖ-Kanzler habe Österreichs Gesellschaft stärker gemacht. Es brauche lange, um so etwas aufzubauen, „aber es geht schnell, das zu zerstören“. Die SPÖ will Österreich wieder zu einem Land machen, „in dem der Aufstieg möglich ist“. Man müsse von den Löhnen gut leben können, Chancen für alle Kinder schaffen, Kulturschaffende wertschätzen.
Österreich „braucht eine andere Richtung“: Weniger Steuern auf Arbeit, mehr Steuern für internationale Online-Konzerne, Lohntransparenz, Ausbildungsoffensive für Pflege und Technik, Kindergartenplätze, Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens und vieles mehr.
Zur Teuerung sagt Rendi-Wagner, die Regierung sei „superschnell“ bei Steuersenkungen für Konzerngewinne, für befreundete Unternehmer etc. Darüber sei nicht lange diskutiert worden. Aber bei Maßnahmen gegen Teuerung sei plötzlich alles kompliziert und teuer.
„So kann man keine Pandemie bekämpfen“, wirft Rendi-Wagner der Regierung vor und empfiehlt ihr, die kurze Strecke vom Kanzleramt zum Rathaus zu gehen, um sich beim Wiener Bürgermeister abzuschauen, wie das geht.
Viel mehr Tempo beim Klimaschutz
Österreich müsse auch „viel, viel, viel schneller werden“, um die Ziele beim Klimaschutz erreichen. Für die Energiewende werde man geschätzte zusätzliche 100.000 Arbeitskräfte brauchen, auch da müsse man mit der Ausbildung endlich beginnen.
Die Industrie sei ein essentieller Grundpfeiler des Wohlstands in Österreich. Darüber werde viel zu wenig gesprochen, sagt Rendi-Wagner. Es gehe um die Abhängigkeit von Lieferketten, von Rohstoffen, von Energie. „Wir müssen unabhängiger und selbstständiger werden. Das gilt für Österreich wie für Europa.“
"Die Menschen werden benutzt für Desinformation"
Die Einstellung gegenüber der Wissenschaft lasse in Österreich zu wünschen übrig, das zeigen internationale Umfragen. „Es gibt eine große Gefahr: Dass in einer immer komplexeren Welt immer weniger Menschen diese Welt verstehen. Dadurch werden die Menschen anfälliger für Desinformation. Das wird dann politisch ausgenutzt, und das ist brandgefährlich für eine demokratische Gesellschaft.“
Der Schlüssel sei Bildung, kritisches Hinterfragen. „Wir müssen die Neugierde bei unseren Kindern wecken, ihre Talente fördern und sie zu selbstbestimmten Individuen erziehen. Das ist die Grundlage für Wissenschaft, Forschung und vor allem auch für eine starke Demokratie.“ Österreich müsse ein Land sein, „das Wissen schafft. Wo die Wissenschaft blüht, und nicht die Verschwörungstheorie“.
"Österreich braucht integere Politiker"
Bis 2017 hätten alle Kanzler die Säulen der Demokratie und des Rechtsstaats respektiert. 2017 sei ein diesbezüglich Wendepunkt gewesen, als eine Regierungspartei begonnen habe, die unabhängige Justiz anzugreifen. Inzwischen hätten zwei Drittel kein Vertrauen mehr in die Regierung. Rendi-Wagner: „Unser Land braucht Politiker, die anständig sind, integer sind, und die richtig von falsch unterscheiden können.“ Die SPÖ sei bereit.
Lob von Viktor Klima
Ex-Kanzler Viktor Klima, der nur ca drei Mal im Jahr aus seienr Wahlheimat Argentinien nach Österreich reist, lobt Rendis-Rede igegenüber dem KURIER als "gelungen und dazu angetan, Vertrauen zu gewinnen".