USA-Reise: Kurz überreicht Staatsbürgerschaften an NS-Opfer
Von Rudolf Mitlöhner
„Sie sind wirklich sehr jung“, sagt die 92-jährige Evelyn Konrad zum Bundeskanzler, der ihr gerade zur Begrüßung die Hand geschüttelt hat. Der bestätigt das leicht verlegen.
Es war eine bewegende Feierstunde, die da am Dienstagnachmittag im österreichischen Generalkonsulat in New York stattfand: Einer Holocaust-Überlebenden und fünf Nachfahren von Opfern des NS-Regimes wurde von Bundeskanzler Sebastian Kurz die österreichische Staatsbürgerschaft überreicht.
Seit Herbst 2020 können auch Nachkommen von NS-Opfern die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, ohne ihre bisherige zu verlieren. Für die Opfer selbst war das schon seit 1993 möglich, eine Ausweitung auf die Nachkommen wurde unter der letzten ÖVP-FPÖ-Regierung auf den Weg gebracht und unter der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein einstimmig im Nationalrat beschlossen.
„Es ist eine Ehre, dass Sie hier sind. Danke, dass Sie bereit sind, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen“, sagte der Kanzler in seiner kurzen, auf Deutsch und Englisch gehaltenen Ansprache. Dies sei ein sehr „berührender Moment“.
Historische Verantwortung
Es gebe eine historische Verantwortung Österreichs angesichts der NS-Vergangenheit auch für die jüngere Generation, so Kurz. Ihr gerecht zu werden bedeute, alle gegenwärtigen Formen von Antisemitismus zu bekämpfen, ein verlässlicher Partner für Israel zu sein und jüdisches Leben in Österreich zu schützen.
Anschließend überreichte Kurz jedem einzelnen die Staatsbürgerschaftsurkunde – einige der neu Eingebürgerten dankten dem Kanzler ausdrücklich für seine Worte.
„Schön, dass diese Geste jetzt gekommen ist“, sagt Evelyn Konrad im Gespräch mit Journalisten. Es sei nicht zu spät – für Versöhnung müsse die Zeit auch reif sein.
Sie selbst ist als knapp Zwölfjährige über Portugal in die USA gekommen. Die Tochter eines Fußballtrainers und spätere Anwältin hat – im Unterschied zu vielen anderen – die deutsche Sprache nicht als jene Hitlers abgelehnt („er konnte sie nicht einmal besonders gut“), sondern als jene Goethes, Heines und Schillers hochgehalten. Sie sei auch immer wieder in Wien gewesen, zuletzt 2019, so die unglaublich agile Seniorin.
Habsburger-Experte, Regisseurin, Gastronomin
Die anderen fünf Neo-Österreicher sind Nachfahren von ehemals Verfolgten: der Historiker Lawrence Wolff (Experte u. a. für die Habsburger), die Regisseurin Melissa Hacker, der frühere Economist-Redakteur Anthony Gottlieb, der Selbstständige Norman Ross, der sich sogar überlegt, nach Österreich zu übersiedeln, und die Gastronomie- und Weinexpertin Cassia Schifter, deren Großvater, Botschafter Richard Schifter, im vergangenen Oktober verstarb, noch bevor sein Staatsbürgerschaftsverfahren abgeschlossen werden konnte.
Das Interesse an der österreichischen Staatsbürgerschaft unter der von der Neuregelung erfassten Personengruppe ist groß. Generalkonsulin Helene Steinhäusl berichtet, dass einschlägige Bearbeitungen bereits einen wesentlichen Teil der Tätigkeit ihres Hauses ausmachten.
Insgesamt wurden seit September letzten Jahres 11.500 Anzeigen gestellt (man spricht hier bewusst nicht von Anträgen, um jeden Anschein eines Bittstellertums in diesem sensiblen Zusammenhang zu vermeiden); mehr als drei Viertel davon aus Israel, den USA und Großbritannien.
Als Opfer gilt laut Gesetz eine Person, „die sich als österreichischer Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben hat, weil sie Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hatte oder weil sie wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte“.
Eine sehr österreichische Note hatte die Feier auch insofern, als das geplante Abspielen der Bundeshymne via Handy zunächst nicht funktionierte. Der Vorschlag des Kanzlers, doch selbst zu singen, hätte beinahe textliche wie musikalische Defizite der Anwesenden offenbart – gerade rechtzeitig kam dann doch noch die Musik „aus der Konserve“.
Ein Schlaglicht – vielleicht symbolisch für eine würdige Feier ohne falsches Pathos.