Politik/Inland

Kurz: "Ichwill gemeinsam mit euch dieses Land verändern"

Die Krawattendichte hat eindeutig abgenommen. In der von der Jungen ÖVP gekaperten Volkspartei ist offener Hemdkragen angesagt. "Ich habe meine nur zu Hause vergessen, ich kenne mein Geburtsdatum", scherzt Innenminister Wolfgang Sobotka über die unbeabsichtigte Anpassung an die neuen Zeiten.

Im Linzer Design Center beim ÖVP-Parteitag ist an diesem Samstag gute Laune angesagt. Es herrscht Aufbruchstimmung. Alles ist in Türkis, Seniorenbundchefin Ingrid Korosec hat farblich passende Stücke aus dem Kleiderschrank hervor gekramt. Das Bühnendekor besteht aus Containern mit offenen Türen – Reise, Aufbruch, Offenheit. "Ein Stück des Weges mit Sebastian Kurz gehen" – der alte Spruch von Bruno Kreisky wird auf diesem ÖVP-Parteitag mehrmals zitiert.

Reportage: Zwei Stunden lang Selfies "mit dem Sebastian"

Angereist sind alle Parteiobleute seit Erhard Busek (mit Ausnahme von Wolfgang Schüssel, der bei Helmut Kohls Verabschiedung ist). Edith Mock nimmt den Applaus für ihren verstorbenen Ehemann Alois Mock entgegen. Wilfried Haslauer unterbricht seine Hochzeitsreise, um in Linz dabei zu sein.

Änderungen im Schnellverfahren

Es ist tatsächlich ein ungewöhnlicher Parteitag. Die Reden sind kurz, es gibt keine Delegiertendiskussion, das übliche Parteitagsprogramm wird in Schnellverfahren abgespult. Drei Abstimmungen in wenigen Minuten – und damit sind weitreichende Statutenänderungen in der ÖVP vollzogen. Kurz darf in Zukunft die Bundeslisten eigenhändig besetzen, nicht nur für die Nationalratswahl, sondern für die EU-Wahl. Er hat ein Vetorecht gegen Landeslisten. 50 Prozent der Kandidaten müssen Frauen sein – außer der Wähler reiht sie durch Vorzugsstimmen um.

Reinhold Mitterlehner wird mit demonstrativem Applaus für seine Verdienste geehrt. "Ich bin dabei, mich zu resozialisieren, zurück auf dem Weg aus der Politik in die Normalgesellschaft", erzählt Mitterlehner. Er ermahnt seine Partei zu mehr Geduld. "Ich bin der vierte Obmann in Folge, der seine vierjährige Funktionsperiode nicht fertig macht. Bei uns muss man keine Funktionsbeschränkung, sondern eine Mindestdauer einführen." Zum Schluss wünscht Mitterlehner "Sebastian und der Partei" alles Gute und wird mit Standing Ovations verabschiedet.

Edith Mock geht nicht auf die Bühne, sondern spricht zum Parteitag in einem Videointerview: "Die Politiker müssen immer an die kleinen Leute denken, sagte mein Mann. Wir sind alle kleine Leute, nur einige stehen halt öfter in der Zeitung."

Es ist an Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner, den Höhepunkt des Tages einzumoderieren. Mit den Worten "Kurz hat Charakterstärke, Mut und Durchsetzungskraft" bittet er den Jungstar auf die Bühne.

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Kurz kommt vor Jubel kaum zum Reden. Was er sagt, ist unspektakulär. Zurückhaltend und artig wie gewohnt steht er auf der Bühne. Es gibt keine Angriff auf andere Parteien, nicht einmal einen Seitenhieb. Er gelobt, dies im Wahlkampf durchhalten zu wollen.

Kurz erzählt Anekdoten aus seinem Partei- und Politikerleben. Er spricht von seinen Eltern, die sich erstmals der Öffentlichkeit zeigen. Von seinem Programm verrät Kurz nur das Bekannte: 40 statt derzeit 43,4 Prozent Steuer- und Abgabenquote, mehr Sparsamkeit beim Ausgeben von Steuergeld, mehr Freiraum für den Einzelnen. Die restlichen Programmpunkte spart sich Kurz auf – der Wahlkampf ist noch lang und wird erst im September so richtig in Schwung kommen.

Eines macht Kurz jedoch klar: Er will "verändern". "Wir reden uns in Österreich die Dinge gern schön. Wir geben nicht gern Probleme zu. Ich liebe dieses Land, aber wenn man es gut mit diesem Land meint, sollten wir uns nicht zufrieden geben. Wer aufs Mittelmaß zurück fällt, ist schnell weg vom Fenster."

"Mit Eurer Hilfe will ich Kanzler werden", hatte Wolfgang Schüssel den ÖVP-Delegierten im April 1995 zugerufen. Kurz lässt die Kanzleransage aus. Er sagt es anders: "Ich will gemeinsam mit Euch dieses Land verändern."

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Kurz wiederholt, dass die Mittelmeerroute geschlossen werden muss, "damit nicht Jahr für Jahr mehr Menschen ertrinken". Er fordert ein, dass es in Österreich "gemeinsame Grundwerte" geben müsse – Leistung, Gleichstellung von Mann und Frau sowie Null Toleranz für (islamischen) Extremismus. "Auch Multi-Kulti-Fans müssen zur Kenntnis nehmen, dass eine Gesellschaft ohne gemeinsame Grundwerte nicht funktioniert."

Volksfest als Startschuss

Neu ist das Drumherum des Parteitags. Rund ums DesignCenter ist für ein Volksfest hergerichtet: Bierbänke und Tische mit Sonnenblumen, Grillhuhn und Getränke. Große Videowalls und eine Bühne für die Musik. Es ist gerammelt voll, viele kommen, um Sebastian Kurz zu sehen. Der stößt nach seiner Wahl zum Obmann symbolisch die Türen der Parteitagshalle auf und geht hinaus. Der Start der "Bewegung" ist gut inszeniert. Stargäste wie Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko auf der Bühne, der von Ö3 ab-engagierte Profi-Entertainer Peter Eppinger sorgt für Stimmung, die Musikkapelle spielt. Kurz geht nur für wenige Minuten auf die Bühne und bittet artig die Anwesenden um Unterstützung. Dann geht er demonstrativ ins Publikum und schaut gemeinsam mit den anderen von unten auf die Bühne hinauf.

In all dem Jubel erhebt sich dann doch noch eine mahnende Stimme. Ex-Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer warnt: "Vorsicht mit diesem Hype. Ein bissl mehr Demut wäre angebracht."