Politik/Inland

Kocher: "Arbeitslosengeld darf nicht zur Armutsfalle werden"

Am Montag hat eine Enquete zur Reform der Arbeitslosenversicherung stattgefunden - mit Vertretern aller Parlamentsparteien, den Sozialpartnern und der Wissenschaft. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) konnte bisher noch keine Details zur Reform nennen, die vor dem Sommer präsentiert werden soll.

Derzeit liegt in Österreich die Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes bei 55 Prozent des letzten Monatsgehalts. Damit liegt es im EU-Vergleich anfangs auf einem niedrigen Niveau, sinkt dafür aber auch nicht, bis man in die Mindestsicherung fällt. Kocher würde die Arbeitslosenversicherung gerne degressiver gestalten: Zuerst bekommt man mehr Geld, mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit immer weniger. Diese Reform soll budgetneutral durchgezogen werden. "Wenn wir es schaffen, Menschen rascher in Beschäftigung zu bringen, haben wir auch bei der Höhe des Arbeitslosengeldes einen gewissen Spielraum", sagte Kocher am Dienstag im Ö1 Frühjournal.

Wie das degressive Modell aussehen soll - Grüne, Sozial- und Koalitionspartner hinterlegten dazu bei der Enquete erste Ideen - sei für Kocher vorerst zweitrangig. Er könne "nicht ausschließen, dass es knapp unter 55 Prozent geht", so der Minister. "Es kann aber nicht weit unter 55 Prozent gehen, weil es nicht das Ziel sein kann, dass die Arbeitslosenentschädigung zur Armutsfalle wird, das darf nicht passieren."

Verlängert Zuverdienst Arbeitslosigkeit?

Für Kocher sei die Höhe des Zuverdienstes und die Zulässigkeit des Zuverdienstes grundsätzlich wichtiger als die Höhe des Arbeitslosengeldes. Derzeit ist beim Arbeitslosengeld und der Notstandshilfe ein uneingeschränkter Zuverdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenze von 485,85 Euro monatlich oder 6.801,90 Euro im Jahr möglich.

Der zeitlich unbegrenzte Zuverdienst während der Arbeitslosigkeit sei "möglicherweise ein Faktor, der Arbeitslosigkeit verlängert", so Kocher. Etwa könnte der Zuverdienst bei längerer Arbeitslosigkeit weiterhin möglich sein, für "den Rest der Arbeitslosen" aber beschränkt wird.

Ende Februar waren 377.000 Menschen in Österreich ohne Job und 187.000 Personen zur Kurzarbeit vorangemeldet. Die Arbeitslosenquote lag bei 7,3 Prozent und 119.000 offene Stellen waren beim Arbeitsmarktservice (AMS) als sofort verfügbar gemeldet.

Loacker: Nettoersatzrate auf 45 Prozent senken

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch wollte bei der Enquete nicht "das bestehende System schlechtreden". Er sei aber bereit, über Stellschrauben zu reden. Die SPÖ unterstütze jede Reform, "die Menschen aus der Armut herausholt". FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch warnte davor, die Arbeitslosengeld-Nettoersatzrate unter 55 Prozent zu senken. Ein degressives Arbeitslosengeld, das nicht mehr kostet, hält Belakowitsch für nicht realistisch.

Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker kann sich eine zeitliche Befristung der Notstandshilfe und eine Absenkung der Nettoersatzrate auf 45 Prozent vorstellen. Man sei in einer Phase, wo sehr viele Arbeitskräfte gesucht würden. Deswegen dürfe man "nicht mehr Geld in die Arbeitslosenversicherung pumpen", so Loacker.

Im Vorfeld der heutigen Enquete zur Arbeitslosenversicherung forderten SPÖ, ÖGB, Armutskonferenz, Volkshilfe und Caritas eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und Grünen Arbeits- und Sozialsprecher Markus Koza sprachen sich für eine Anhebung der Netto-Ersatzrate von 55 auf 70 Prozent aus. Der Zuverdienst soll bestehen bleiben.