Initiativen fordern besseren Umgang mit weiblicher Genitalverstümmelung
Von Diana Dauer
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM/C = female genital mutilation/cutting) werden jungen Mädchen die Klitorisspitze abgetrennt, innere und äußere Schamlippen teilweise entfernt. Die übrige Haut im Genitalbereich wird zugenäht und vernarbt. In der Vagina der betroffenen Mädchen bleiben kleine Öffnungen. Durch sie können unter enormen Schmerzen Menstruationsblut und Urin abrinnen. Das Urinieren dauert dann unter Umständen bis zu 30 Minuten, verschlimmert durch Nierenrückstau und regelmäßige Infektionen des Urinaltrakts. Durch den unter teilweise widrigen hygienischen Umständen durchgeführten Eingriff und die mangelnde Versorgung der Wunde danach können zusätzliche Probleme entstehen.
Penetration beim Sex, sofern sie möglich ist, ist meistens mit starken Schmerzen verbunden. Im Falle einer Schwangerschaft steigt das Sterbe- und Komplikationsrisiko für betroffene Frauen stark an. Eine vaginale Geburt bei einem kompletten Verschluss der Vagina ist nur bei einem chirurgischen Aufschneiden der Narbenplatte möglich.
Mehr Wissensvermittlung nötig
Das eben Geschilderte ist die Realität für rund 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit. Setzt sich der Trend fort, werden bis 2030 rund 15 Millionen Mädchen mehr zwischen 15 und 19 Jahren Opfer dieser Praktik geworden sein. Auch in Österreich sind Schätzungen zufolge 6.000 bis 8.000 Frauen und Mädchen betroffen. Unter den gesundheitlichen und psychischen Folgen leiden die Frauen ihr Leben lang.
Die höchste Anzahl an Frauen und Mädchen mit FGM zwischen 15 und 19 Jahren gibt es in Somalia, Guinea und Dschibuti. Die meisten Mädchen unter 14 Jahren, die genital verstümmelt werden, stammen aus Gambia, Mauretanien und Indonesien. International wurde das Ziel gefasst, diese Praktik bis 2030 zu beenden. Dafür aber brauche es 2,4 Milliarden und derzeit fehlen 2,1 Milliarden Euro, um das Ziel zu erreichen.
An diese Menschenrechtsverletzungen erinnerte die Initiative Stop FGM bei einem Pressegespräch anlässlich des Internationalen Tags gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar.
Die plastischen Schilderungen seien wichtig, sie sind Teil der Wissensvermittlung, um auch in Österreich Bewusstsein und Wissen im Sozial- und Gesundheitsbereich und die Qualifizierung medizinischen und pädagogischen Fachpersonals zu schaffen, erklärt Petra Bayr, Nationalratsabgeordnete (SPÖ) und Gründerin der Plattform Stop FGM.
Verbesserungen in Österreich nötig
Mittlerweile sei FGM/C zwar in der medizinischen Ausbildung angekommen, Elena Jirovsky-Platter, Medizinanthropologin (Med-Uni Wien), macht allerdings einige Mängel in der medizinischen Betreuung betroffener Frauen aus:
Bei der Expertise der Mediziner und Medizinerinnen bestehe ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Während das Wissen in Städten wie Wien konzentriert sei, fehle es daran großflächig in ländlichen Gebieten. "Dadurch haben schwangere Frauen ein höheres Kaiserschnitt-Risiko, weil die betreuenden Gynäkologen nicht um die Möglichkeit einer operativen Öffnung der Vagina wissen", sagt die Medizinanthropologin.
Wichtig sei auch, dass geschultes Personal weiß, wo Frauen Hilfe bekommen können. Zudem müssten Frauen darüber aufgeklärt werden, dass FGM in Österreich verboten ist und dass es medizinische Hilfe für sie geben könne, sagt auch die Frauenärztin (Med-Uni Wien/AKH) Daniela Dörfler. Die oben geschilderte Form der FGM wird von Ärzten und Ärztinnen in Österreich am häufigsten gesehen, weil sie die schlimmsten Beschwerden auslöst und die Betroffenen sich dann Hilfe suchen müssen.
"Rassismus und unverhohlenes Entsetzen"
Weil das Bewusstsein bei vielen Ärzten aber fehle, erlebten Frauen mit FGM in Österreich häufig "einen unbeholfenen Umgang, Rassismus, Vorurteile und unverhohlenes Entsetzen beim Anblick ihres Intimbereichs", sagt Jirovsky-Platter. Das löse bei den Betroffenen Scham aus, weswegen sie sich bei gesundheitlichen Problemen seltener Hilfe suchen.
Auch bei der Erkennung von betroffenen Mädchen in Österreich müsse mehr gemacht werden, sagt Bayr. So könnten geschulte Kindergynäkologinnen in einem geschützten Raum untersuchen, ob bei kleinen Mädchen die Klitoris eingeritzt wurde - das sei schwer zu erkennen, habe aber enorme gesundheitliche Folgen für Mädchen. Auch in der Schule könnte es Lehrern und Lehrerinnen auffallen, dass es betroffene Schülerinnen gibt, etwa wenn diese in der Pause häufig sehr lange auf der Toilette sind.
Grundsätzlich habe es in den vergangenen 30 Jahren weltweite Verbesserungen gegeben. Durch internationale NGOs, wie Aktion Regen, die seit 33 Jahren Bildung zu sexueller Gesundheit in afrikanischen Ländern verbreitet und Aufklärungsinitiativen in Ländern, in denen Mädchen genital verstümmelt werden, ist die Zahl der Opfer um ein Drittel gesunken. Ines Kohl, Sozialanthropologin und Geschäftsführerin von Aktion Regen betonte, dass zur Verbesserung der Ausbildung von Fachpersonal, die mit FGM-Betroffenen arbeiten, die Einbeziehung von Erfahrungswerten aus dem Globalen Süden viel stärker erfolgen müsse:“FGM ist nicht in Österreich entstanden und erst durch Migration gekommen". Im Globalen Süden werde schon viel länger dagegen vorgegangen, lokale Experten wissen, wie mit den Communities gesprochen werden müsse und welche Argumente wirken.
In Österreich wurde vergangenes Jahr das Kompetenzzentrum in Favoriten gegründet. Es steht unter der Leitung des Frauengesundheitszentrums FEM Süd, das seit vielen Jahren die erste Anlaufstelle für Betroffene ist.
FGM als Fluchtgrund
"FGM ist eine Menschenrechtsverletzung und ist Gewalt an Frauen, dagegen macht die österreichische Regierung zu wenig", sagt Bayr. Das sehe man an der Zahl der Feminizide in Österreich. Zudem werde kein einziger FGM-Fall vor Österreichs Gerichten verhandelt. Schulungen und Sensibilisierungen für weibliche Genitalverstümmelung brauche es auch bei den Mitarbeitern des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA). "Die Bedrohung von FGM ist für Frauen als soziale Gruppe ein Fluchtgrund. Das wird im BFA kaum beachtet", sagt Bayr.