"Sündenbock" KPÖ wies Verantwortung für Neuwahlen von sich. Murkraftwerk als Zankapfel.
Der Grazer Gemeinderat hat sich am Donnerstag in einer Sondersitzung aufgelöst und damit den Weg für Neuwahlen Anfang 2017 geebnet. Wahltermin dürfte der 5. Februar sein. Die Auflösung des Gemeinderats war notwendig, da Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) trotz SPÖ-Hilfe für sein Budget keine Mehrheit gefunden hatte. Die KPÖ hatte ihre Unterstützung an eine Volksbefragung zum Murkraftwerk geknüpft.
Die von ÖVP und SPÖ beantragte Selbstauflösung des Grazer Gemeinderats ist ein Novum. Sie wurde zum ersten Mal seit Bestehen der Zweiten Republik beschlossen und mehrheitlich angenommen, lediglich die FPÖ stimmte der Auflösung nicht zu. Vor der Abstimmung gab es gegenseitige Schuldzuweisungen.
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Bürgermeister
Nagl betonte, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen er mitgestalten durfte, vieles gelungen sei. "Oft ist es nötig, politisch nicht auf seinem Standpunkt zu bleiben", meinte
Nagl in Richtung
KPÖ und kritisierte, dass von sechs Fraktionen im Gemeinderat "gleich vier sagen, sie verhandeln nicht" über das Budget. Bezüglich
Murkraftwerk führte er das
Atomkraftwerk Krsko in
Slowenien ins Treffen: "Bei einem Zwischenfall haben wir keine 30 Minuten Zeit, bis die Radioaktivität bei uns ist. Daher will ich statt Atomkraft die Wasserkraft nützen."
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SPÖ-Gemeinderat Gerald Haßler schob den schwarzen Peter der KPÖ zu: "Sie hat 'njet' gesagt und das nach konstruktiven Gesprächen über das Budget, in denen schon Vieles ausverhandelt war." Die Zusammenarbeit mit der KPÖ in den vergangenen Jahren sei nur eine "Eintagsfliege" gewesen. Das sei eine unverantwortliche Politik und nun würde die KPÖ wieder "ins kuschelige Oppositionsnesterl flüchten".
"Kuscheln tu ich woanders, nicht hier im Gemeinderat"
Ina Bergmann, Gemeinderätin der KPÖ, entgegnete: "Kuscheln tu ich woanders, nicht hier im Gemeinderat." Sie wies das Sündenbock-Image der Kommunisten zurück. Schon die FPÖ habe 2014 "kalte Füße" bekommen und wollte Nagl zu Neuwahlen zwingen. Damals sei die KPÖ eingesprungen und habe ein Budget mitbeschlossen, rief sie in Erinnerung. Für Bergmann war ihre Rede die voraussichtlich letzte im Gemeinderat.
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FPÖ-Vertreter Armin Sippel meinte, dass sich Nagl als "geknickter Ehepartner" gebe: "Aber wenn ihm drei Partner in vier Jahren weglaufen, muss man wohl eher ihn zur Paartherapie schicken." Die ÖVP habe Handschlagqualität vermissen lassen. Gerhard Wohlfahrt von den Grünen brachte ebenfalls die schwierigen Beziehungen des Bürgermeisters aufs Tapet: "Er hatte mit allen Fraktionen in den vergangenen Jahren Koalitionen oder Zusammenarbeit, aber mit keiner ist er am Ziel angekommen." Er finde rasche Neuwahlen gut, Politik solle wieder gestalten und nicht verwalten, so Wohlfahrt.
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Die
Neuwahlen in
Graz hatten sich bereits Mitte Oktober abgezeichnet: Seit Jahren gilt das geplante
Murkraftwerk in Graz-Puntigam als
Zankapfel der Stadtpolitik. Grüne und
KPÖ wehren sich dagegen und forderten eine Volksbefragung. Eine Initiative sammelte seit 2011 Stimmen dafür und brachte auch mehr als 10.000 gültige Unterschriften bei der Stadt ein. Doch statt einer Befragung entschieden die Juristen der Stadt, dass die Formulierung der Fragen nicht eindeutig genug wäre. Das, obwohl die Initiative 2011 ihre Fragen mit der Präsidialdirektion der Stadt abgesprochen hatte.
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Laut den Juristen habe sich jedoch in der Zwischenzeit die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs fortentwickelt. Vizebürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ), die seit Beginn ihrer Zusammenarbeit mit Nagl eine Volksbefragung als zwingend angesehen hatte, nahm das Nein zur Befragung zum Anlass, ihre Zustimmung zum Budget 2017 zu verweigern. Der Bürgermeister stand damit vor dem Problem einer Mehrheitsfindung.
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Die
ÖVP hielt zuletzt 17 Mandate, die
KPÖ zehn,
SPÖ und
FPÖ jeweils sieben, die Grünen sechs und die Piraten eines. Die geschwächte
SPÖ hatte
Nagl für das Budget 2017 Unterstützung zugesagt. Für eine Mehrheit reichte das aber nicht. Mit der
KPÖ gab es weit gediehene Gespräche. Als die Entscheidung gegen eine Volksbefragung zum
Murkraftwerk gefallen war, lehnte die
KPÖ auch das Budget ab.
Neuwahlen waren damit so gut wie fix.
Abschied für Ex-Vizebürgermeisterin Rücker
Die ehemalige Grazer Vizebürgermeisterin Lisa Rücker (Grüne) hat bei der Sondersitzung des Grazer Gemeinderats am Donnerstag ein letztes Mal vom Podium gesprochen. Sie scheidet aus dem Landesparlament aus. "Ich war gerne Teil des Gemeinderats und der Stadtregierung", sagte Rücker mit Tränen in den Augen.
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Die Grüne Politikerin war seit 2003 Gemeinderätin in
Graz und wurde nach der Wahl 2008 durch einen satten Stimmenzuwachs Stadträtin.
Rücker ging in Koalition mit
Siegfried Nagl (
ÖVP) und wurde dadurch erste Grüne Vizebürgermeisterin in der steirischen Landeshauptstadt. Im Frühjahr 2012 ging die Koalition in die Brüche.
Rücker war nach der vergangenen Gemeinderatswahl im November 2012 weiterhin als Stadträtin für Kultur tätig. Bei den kommenden
Neuwahlen Anfang 2017 wird
Tina Wirnsberger für die Grünen ins Rennen gehen.
"Wir haben in vielen Gemeinderatssitzungen gerungen und gestritten. Ich habe manchmal ein scharfes Wort verwendet. Sollte ich jemanden verletzt haben, möchte ich mich dafür entschuldigen", erklärte Rücker anlässlich ihres Abschieds. Sie habe das Gefühl, dass die Politik derzeit von einem "politischen Vandalismus" bedroht werde: "Verantwortlicher Weitblick stößt auf wenig Interesse", so ihre Einschätzung. Dennoch blieb sie optimistisch: "Graz hat Potenzial eine Stadt zum guten Leben zu bleiben."