Experte: Neutralität "vom Mythos befreien"
50 Sicherheitsexperten, Wissenschafter, Künstler, Diplomaten haben in einem Offenen Brief eine "Debatte ohne Scheuklappen" über die österreichische Sicherheitspolitik gefordert. Hintergrund sind die Bestrebungen der traditionell neutralen (bündnisfreien) Länder Schweden und Finnland, angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine der NATO beizutreten.
Einer der Unterzeichner ist Brigadier Walter Feichtinger vom Zentrum für strategische Analysen, bis vor einem Jahr Militärstratege an der Landesverteidigungsakademie. In der ZiB 2 am Montagabend diskutierte er darüber mit ÖVP-Sicherheitssprecher Christian Stocker.
Feichtinger verwies auf die veränderte Bedrohungslage, die es erforderlich mache, zu fragen, "ob die Neutralität in der Form für Österreich das beste Instrument ist". Stocker hingegen sah die Neutralität als "Instrument für die Unteilbarkeit des Staatsgebiets und die Unabhängigkeit" - und dieses solle erhalten bleiben. Im übrigen habe Österreich ja auch die Neutralität im Zuge des EU-Beitritts weiterentwickelt, so Stocker.
Dem hielt Feichtinger entgegen, dass Österreich sich durch eine Klausel "herausgenommen" habe: "wenn andere angegriffen werden, braucht Österreich nicht militärisch beistehen, wir erwarten aber, wenn Österreich angegriffen wird, von den anderen EU-Staaten, dass uns geholfen wird".
Stocker verwies darauf, dass Österreich bereit sei, mehr Geld für die Landesverteidigung in die Hand zu nehmen: Die Verteidigungsausgaben sollen bekanntlich auf 1.5 Prozent des BIP erhöht werden. Das höre er schon seit 20 Jahren, meinte Feichtinger - er glaube das erst, "wenn es wirklich soweit ist".
Die Neutralität müsse "ein bisschen befreit werden von dem Mythos", erklärte der Brigadier unter Anspielung auf den berühmten Sager des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel, der die Neutralität mit Mozartkugeln und Lipizzanern verglichen hatte.
Tanner verteidigt Neutralität: "Entscheidung jedes einzelnen Staates"
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat die Neutralität Österreichs verteidigt. "Das ist die Entscheidung jedes einzelnen Staates, einem Bündnis beizutreten", so Tanner am Rande eines Treffens mit ihren EU-Amtskollegen am Dienstag in Brüssel. Für Österreich sei "die Situation verfassungsrechtlich ganz klar", da es im Unterschied zu den beiden bündnisfreien Staaten neutral sei.
Die Neutralität liege "im Herzen der Österreicher", bekräftigte Tanner. Die Diskussion über ein österreichisches Sicherheitsdoktrin laufe gerade im Parlament, "an dem Ort, der auch dafür zuständig ist", sagte die Verteidigungsministerin. "Es muss gesprochen und diskutiert werden darüber, das ist ja auch gerade im Gange."
Tanner und ihre EU-Amtskollegen befassen sich am Dienstag mit dem Krieg in der Ukraine. Bei dem Brüsseler Treffen wollen sich die Vertreter der EU-Länder per Videokonferenz mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sowie mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg austauschen. Die Ukraine erhofft sich mehr schwere Waffen.
Österreich dürfe aufgrund seiner Neutralität nur nicht-tödliche Waffen liefern, betonte Tanner. Das sei bereits mit Schutzausrüstung geschehen, derzeit berate man auch über medizinisches Hilfsgut. Das österreichische Budget sollte dafür ausreichen, sagte die ÖVP-Politikerin.