"Torpediert": Historiker verurteilen Räumung des Dollfuß-Museums
Von Michael Hammerl
Seit 1998 gab es in Texingtal, einer kleinen Gemeinde im Bezirk Melk, ein Museum für den ehemaligen, autoritär regierenden Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Die Ausstellung im ehemaligen Geburtshaus von Dollfuß galt unter kundigen Historikern schon früh als unkritische Gedenkstätte. Medial relevant wurde die Debatte aber erst durch die Bestellung von Gerhard Karner zum ÖVP-Innenminister.
Karner war zuvor Bürgermeister von Texingtal und gewissermaßen Hausherr des Museums. Schlussendlich wurde eine Projektgruppe unter der Führung von Alexander Hauer eingerichtet, die das Museum bewerten und ein neues Konzept erarbeiten sollte.
Die Historiker bewerteten das Museum als "Pilgerstätte" für Dollfuß-Anhänger, der 1934 von den Nazis getötet worden war. Das neue Konzept: Das Museum sollte schrittweise aufgelöst, Stücke nach und nach entnommen und gemeinsam mit der Bevölkerung historisch eingeordnet werden. Das Konzept wurde vorab medial publik.
Museum fast ausgeräumt: "Äußerst befremdlich"
Die Exponate stammten von privaten Leihgebern – teils Dollfuß-Nachfahren – und den NÖ Bauernbund. Sie waren mit dem neuen Konzept nicht einverstanden. Am 19. Jänner wurde das Museum vom Land fast komplett ausgeräumt, die Exponate an die NÖ Landessammlungen übergeben.
Der wissenschaftliche Beirat zur Neukonzeption des Museums bezeichnet dieses Vorgehen der Gemeinde in einem am Samstag veröffentlichten Brief als "äußerst befremdlich" (siehe unten).
"Diese Räumaktion torpediert die Umsetzung des vom wissenschaftlichen Beirat begleiteten und einstimmig befürworteten Museumskonzepts ,Raum schaffen' des Kurator*innen-Teams des Vereins MERKwürdig", heißt es im Schreiben. Das Haus sei 1934 von der Schuschnigg-Diktatur als Gedenkstätte gestiftet worden – und hätte diesen Charakter auch als öffentlich finanziertes Museum gehabt.
"Bedenklicher Auftakt ins Gedenkjahr"
Weiter heißt es: "Dieses Grundproblem und weitere Schwierigkeiten (Besitzverhältnisse, Investitionsbedarf, Verkehrslage usw.) sprechen gegen den Weiterbestand des Museums." Folglich habe man sich für das Konzept der konstruktiven Auflösung entschieden. Doch genau dieser Teil entfalle nun: "Auf diese Weise werden die gedenkpolitischen Interessen einiger Personen und Organisationen auf Kosten einer zeitgemäßen, demokratischen und evidenzbasierten Geschichtskultur durchgesetzt", kritisieren die Historiker.
Abschließend heißt es: "Die Verantwortlichen für diesen Akt haben damit einen bedenklichen Auftakt zum Gedenkjahr der Durchsetzung der Dollfuß-Diktatur vor 90 Jahren gesetzt. Als mit dem Dollfuß-Museum befasste Historiker*innen erwarten wir von den kultur- und wissenschaftspolitischen Entscheidungsträger*innen einen verantwortungsvollen Umgang mit der österreichischen Geschichtskultur zu den Jahren 1933/34."
"Konnten wir nicht zulassen"
Warum hat die Projektgruppe das Museum als problematisch erachtet? Kurator Remigio Gazzari nennt auf KURIER-Nachfrage mehrere Gründe. Etwa die unkommentierte Gedenktafel an der Fassade des Eingang, die von Dollfuß-Nachfolger Kurt Schuschnigg 1934 enthüllt wurde. "Der letzte Raum des Museums, in dem Besucher:innen den Rundgang beendeten, war schon im Gründungskonzept als ,Gedenkraum' konzipiert", so Gazzari weiters.
Der Raum sei voller verehrender Objekte gewesen, ohne zu erklären, warum Dollfuß in dieser Form posthum verehrt wurde. "Damit konnte sich die Ausstellung auch nicht von dieser Erinnerungstradition lösen."
Die unterzeichneten Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats zur Neukonzeption des „Dr.-Engelbert-Dollfuß-Museums“ finden die fast vollständige Übergabe der Museumsexponate durch die Gemeinde Texingtal als Betreiberin an die NÖ Landessammlungen auf Forderung einiger Leihgeber*innen am 19. Jänner 2024 äußerst befremdlich.
Diese Räumaktion torpediert die Umsetzung des vom wissenschaftlichen Beirat begleiteten und einstimmig befürworteten Museumskonzepts „Raum schaffen“ des Kurator*innen-Teams des Vereins MERKwürdig.
Das 1934 von der Schuschnigg-Diktatur als Gedenkstätte gestiftete Dollfuß-Geburtshaus hat seinen legitimatorischen Charakter auch nach der Gründung des aus öffentlichen Mitteln finanzierten Museums 1998 beibehalten. Dieses Grundproblem und weitere Schwierigkeiten (Besitzverhältnisse, Investitionsbedarf, Verkehrslage usw.) sprechen gegen den Weiterbestand des Museums. Folglich sieht das Konzept „Raum schaffen“ die konstruktive Auflösung des Museums vor. Zwar realisiert die Räumaktion einen Teil des Konzepts – die Schließung des Museums und die Übernahme der Exponate in eine öffentliche Sammlung. Doch der konstruktive Teil – die begleitende, partizipative und kritische Reflexion über mehrere Jahre – entfällt. Auf diese Weise werden die gedenkpolitischen Interessen einiger Personen und Organisationen auf Kosten einer zeitgemäßen, demokratischen und evidenzbasierten Geschichtskultur durchgesetzt. Die Verantwortlichen für diesen Akt haben damit einen bedenklichen Auftakt zum Gedenkjahr der Durchsetzung der Dollfuß-Diktatur vor 90 Jahren gesetzt. Als mit dem Dollfuß-Museum befasste Historiker*innen erwarten wir von den kultur- und wissenschaftspolitischen Entscheidungsträger*innen einen verantwortungsvollen Umgang mit der österreichischen Geschichtskultur zu den Jahren 1933/34.
Dr.inLucile Dreidemy, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Ernst Langthaler, Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz
Prof. em. Dr. Carlo Moos, Historisches Seminar der Universität Zürich
Dr.inVerena Pawlowsky, Forschungsbüro, Wien