Austrotürken: Höchstgericht stoppt Entzug von Staatsbürgerschaft
"Heute bin ich ein besonders stolzer Österreicher": Kazim Yilmaz ist ein Wiener Anwalt mit türkischen Wurzeln. Er war es, der den Fall eines vermeintlichen türkischen Doppelstaatsbürgers bis zum Verfassungsgerichtshof brachte – und recht bekam.
Für Tausende angebliche türkische Doppelstaatsbürger könnte dieses Urteil wegweisend sein. Doch für etliche kommt diese Entscheidung zu spät. All jenen, denen bereits rechtskräftig die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen wurde, nützt sie nichts mehr, sagt Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. In Wien sind das zumindest 34 Personen. Die letzten österreichweiten Zahlen stammen von Ende Oktober – da waren es 85.
Der Name von Yilmaz’ Mandanten, einem 58-jährigen Wiener, tauchte auf der ominösen türkischen Wählerevidenzliste auf, die der Klub der Wiener Freiheitlichen im Mai des Vorjahres dem Innenministerium übergab. Insgesamt befanden sich darauf Daten von 66.382 Personen. Doch diese Liste, so urteilte der Verfassungsgerichtshof nun, sei „kein authentisches Dokument“. Weder Herkunft noch Entstehung seien zuordenbar. Außerdem sei es nicht zulässig, dass der Betroffene den Beweis erbringen muss, kein türkischer Staatsbürger zu sein. Das sei noch immer Sache der Behörde, heißt es im Erkenntnis.
"Paradebeispiel des gut integrierten Österreichers"
Der Betroffene selbst hatte viele schlaflose Nächte, wie Anwalt Yilmaz sagt. „Er ist seit seinem 11. Lebensjahr hier, hat als Gastarbeiter gearbeitet, seit 1996 hat er die österreichische Staatsbürgerschaft. Seine Kinder sind hier aufgewachsen. Er ist das Paradebeispiel eines gut integrierten Österreichers.“
In Tirol ist ein Musterverfahren für mehr als 1800 Listen-Verdachtsfälle anhängig. Über die Beschwerde einer Frau, der in diesem Fall in erster Instanz der rot-weiß-rote Pass entzogen wurde, gibt es noch keine Entscheidung. Die zuständige Landesrätin Gabriele Fischer (Grüne) sagt, sie sei nun „vorsichtig optimistisch“, dass es für die Betroffenen positiv ausgeht.
In Wien gab es 18.000 so genannte „Feststellungsverfahren“ – alle noch laufenden werden nun auf Eis gelegt, bis man sich vom VfGH-Entscheid ein Bild gemacht hat, heißt es auf Anfrage im zuständigen Stadtratsbüro.
Werden die Verfahren eingestellt, darf auch in Hinblick auf die EU-Wahl aufgeatmet werden: Es wurde befürchtet, die Wahl könnte angefochten werden, wenn es kein gültiges Wählerverzeichnis gibt.
Erneute Verleihung?
Verfassungsrechtler Funk hat die Entscheidung „mit großer Freude und Genugtuung“ aufgenommen. „Bei so einer wichtigen Frage wie der Staatsbürgerschaft braucht man ein Mindestmaß an Qualität bei den Beweisen. Das ist die Liste schlicht nicht.“
Jene Personen, denen bereits rechtskräftig der Pass entzogen wurde, bleibt nur die Hoffnung auf den guten Willen der Behörde. „Man könnte ihnen eine erneute Verleihung der Staatsbürgerschaft anbieten“, meint Funk.