"Endgenervt": Van der Bellen warnt in Festspielrede vor Schubladisierung und Spaltung
Von Johanna Hager
Der Festspiel-Reigen beginnt und damit Eröffnungsreden, die dazu angetan sind, im Gedächtnis zu bleiben, um sich darüber auch noch Stunden oder Tage später selbst Gedanken zu machen. Egal ob bei den Salzburger Festspielen oder heute in Bregenz.
Wie es Tradition ist, liegt es am Staatsoberhaupt, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die 78. Bregenzer Festspiele feierlich zu eröffnen, ehe abends die Premiere des Freischütz unter freiem Himmel gegeben werden wird.
"Alles regt auf und frustriert"
Sah das Staatsoberhaupt in den vergangenen Jahren und Festspiel-Reden die Gesellschaft vor herausfordernden Jahren, das Miteinander durch Pandemie und Kriege vor eine harte Probe gestellt, rückt er in diesem Sommer den öffentlichen Diskurs in den Mittelpunkt. Und den Umstand, dass dieser fehlgeht.
Wir leben in einer Zeit, so Van der Bellen, in der gleichsam alles aufregt und frustriert - egal ob Klima, Politik, die EU oder der Doppelpunkt beim Gendern.
Woran das liegt, fragt der Festredner und damit das Publikum - darunter Teile der türkis-grünen Regierung wie Vizekanzler Werner Kogler, Finanzminister Magnus Brunner, Außenminister Alexander Schallenberg, Gesundheitsminister Johannes Rauch, Wirtschaftsminister Martin Kocher und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Auch nach Bregenz gekommen ist SPÖ-Chef Andreas Babler mit seiner Frau Karin Blum.
Österreich sei aber, so Van der Bellen, weder klima-, konflikt- noch demokratiemüde. "Österreich ist nicht müde", konstatiert er weiter und zitiert damit seine eigenen Worte nach dem Aus der ÖVP-FPÖ-Koalition und dem Ibiza-Video: "So sind wir nämlich nicht."
Schubladen und Schwurbler
Vielmehr oder eher seien wir "nur endgenervt von der Art und Weise, wie wir darüber sprechen. Die Welt, über die wir öffentlich sprechen, ist ganz einfach. Sie ist blitzschnell erklärt. Sie ist eindeutig. Etwas ist entweder schwarz oder weiß, groß oder klein, oben oder unten, gut oder böse."
Dazwischen gebe es nichts. In Weltbildern wie diesen sei man "Entweder-Oder":
- Klimaterrorist oder Luftverpester,
- Wutbürger oder Gutmensch,
- Schwurbler oder Schlafschaf,
- Freund oder Feind.
Eben diese Schubladen aber seien gefährlich, spalteten und verhinderten, "dass wir uns vernünftig verständigen". Dieses Denken sei zur "beliebten Methode" geworden, verhindere aber das "echte, differenzierte Gespräch". Gerade auch Soziale Netzwerke würden mit eben diesem Mechanismus operieren und funktionieren.
Schweinsschnitzel und Biogurken
"Um im Spiel zu bleiben, sucht man weniger nach Fakten als vielmehr nach Storys und Sensationen. Und die Sensation, die ist nicht komplex. Sie ist verlockend einfach. Viele übernehmen diese einfache Welt des 'Entweder-Oder', suchen nach Zugehörigkeiten und beschriften ihre Schubladen mit die Medien, die Eliten oder das System."
Ehe er danach fragt, in welche Schublade jemand kommt, der eigene Biogurken erntet und ein Schweinsschnitzel isst oder zur Arbeit radelt und mit dem VW-Bus durch Italien fährt, mahnt Alexander Van der Bellen: "Wir müssen verdammt gut aufpassen, was und warum und wen wir da jeden Tag schubladisieren."
Der Bundespräsident dekliniert die Vorurteile durch: Wie jemand aussehe, der Mustafa heißt und Tiroler Dialekt redet, ob jemand beim Zeltfest ist und veggi isst, ob jemand in Krachlederner auch überzeugt gendert?
Nicht jeder, der radelt sei ein "Ökofanatiker", nicht jeder der Schnitzel esse ein Klimasünder. "Wir sind doch immer gut damit gefahren, wenn bei uns alles ein bisschen entspannter war. Wenn bei uns am Ende doch jeder so sein konnte, wie er ist. Widersprüche inklusive. Ich frage mich in letzter Zeit: Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?"
"Wunderbare, österreichische Widersprüchlichkeit"
Van der Bellen vermisst die "Gelassenheit" in unserer Gesellschaft wie Zeit, die es durchaus gegeben habe. Die aber abhanden gekommen sei durch Kräfte, "die unsere wunderbare, österreichische Widersprüchlichkeit nicht als Brücke zueinander nutzen" - im Gegenteil.
"Spaltung ist kein Naturgesetz", mahnt er weiter. Sie funktioniere nur, weil und wenn alle mitspielen. Dies aber gelte es zu verhindern, denn Spaltung sei Gift. Sie vergifte, was und wie wir denken und miteinander umgehen.
"Und sie vergiftet, was wir tun: Schuldige suchen. Andersdenkende verachten und verspotten. Das Gegenüber abwerten. Und am Ende: Gewalt. Wie etwa am Samstag in den USA. Dafür darf kein Platz sein. Verachtung ist kein Wahlprogramm. Und Hass keine Lösung für unsere Probleme."
Gen Ende seiner Rede erinnert Van der Bellen an deren Anfang und die Zwölftonmusik, die er erwähnt. Und die unbequem ist, so wie er es mit seinen Worten sein will.
Jeder und jede möge sich nicht einteilen, kategorisieren oder an den Rand drängen lassen. Nach Möglichkeit gelte es vielmehr, aus den Schubladen herauszuholen.
"Damit wir wieder normal miteinander reden können – über Klima, Politik, Demokratie. Wer weiß – am Ende kommt vielleicht heraus: Es gibt mehr, das uns verbindet als das uns trennt. So. Wer hat jetzt Gefallen gefunden an Zwölftonmusik? Ich kann Sie Ihnen nur ans Herz legen."