Ab nach Brüssel: Kern überrumpelt Partei mit Plan E
Keiner wusste, was er wirklich vor hatte. Stundenlang glaubten selbst rote Parteigranden, dass SPÖ-Chef Christian Kern einen schnellen Abgang machen wird – und zwar in Richtung Privatwirtschaft.
Eine Vorankündigung innerhalb der Partei über eine massive Veränderung gab es keine, dementsprechend sprachlos waren einige Landesparteichefs am Dienstagnachmittag. Andere wiederum gaben sich enttäuscht, wie etwa Niederösterreichs SPÖ-Chef Franz Schnabl. „Wer ins Wasser springt, muss schwimmen. Aber nicht nur bei Schönwetter“, meinte Schnabl zum KURIER.
Aber es kam anders. Und zwar komplett anders.
Gegen 18 Uhr trat Kern in einer eilig angesetzten Pressekonferenz vor die Öffentlichkeit. Zum Erstaunen aller verkündete Kern, SPÖ-Spitzenkandidat bei der kommenden EU-Wahl Ende Mai 2019 zu werden. Bis dahin bleibe er Parteichef – was aber später nicht mehr galt.
Es bleibt ein Rücktritt auf Raten als Parteichef. Am Mittwoch beraten SPÖ-Präsidium und Vorstand die weitere Vorgangsweise.
Kerns Entscheidung, die er offenbar kaum jemandem Namhaften in der SPÖ mitteilte, begründete er mit seiner Sorge um Europa: „Wir sehen, dass das Konzept einer liberalen, weltoffenen Demokratie massiv herausgefordert wird von den Orbáns, Kaczynskis, Straches und Salvinis. Wer das nicht geglaubt hat, hat in der vergangenen Woche endgültig den Beweis bekommen, dass hier Menschen agieren, die die Abrissbirne gegen Europa einsetzen.“
Und dann folgte ein Satz, der den Raum für Spekulationen aufmachte: „Meine persönliche Überlegung hat sich rund um das Europa-Thema schon längere Zeit sortiert. Sie wissen, ich habe Österreich im Europäischen Rat vertreten. Wir haben am Mittwoch ein Treffen der sozialdemokratischen Parteien Europas in Salzburg, um die weitere Vorgehensweise rund um die Europawahl zu besprechen.“
"Ja, er wird es machen"
Hier wird Kern bekannt geben, dass er auch als Spitzenkandidat für die Europäischen Sozialdemokraten ( SPE) antreten wird. „Ja, er wird es machen“, bestätigt ein SPÖ-Grande. Nach einer Sitzung der SPÖ-Führung am Dienstagabend hieß es auch offiziell: Die SPÖ unterstütze Kerns Plan zur Spitzenkandidatur für die Europäischen Sozialdemokraten (SPE).
Die offizielle Nominierung des SPE-Kandidaten findet im Dezember statt. Einen Gegenkandidaten hat Kern schon, den slowakischen EU-Kommissar Maroš Šefcovic – dieser gab sein Antreten am Montag bekannt, hat aber kaum Chancen. Sollte Kern zum Frontmann der SPE gewählt werden, ist sein politisches Gegenüber der CSU-Abgeordnete und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber.Ob sich bei der EU-Wahl 2019 das System des Spitzenkandidaten durchsetzen wird, wonach die stärkste Partei den Kommissionspräsidenten stellt, ist noch offen.
Die EU-Abgeordneten wollen es, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sind strikt dagegen.
Prognosen zufolge liegt die EVP knapp vor den rechtspopulistischen und rechtsnationalen Parteien. Es wird gerechnet, dass diese Gruppierungen künftig die größte Fraktion im EU-Parlament werden. Das Treffen der sozialdemokratischen Parteichefs heute in Salzburg wird zu einem spannenden Termin, der zuvor wenig Beachtung fand.
Die SPÖ hat Kern mit seiner „Selbsternennung“ zum EU-Kandidaten eiskalt erwischt. Denn jetzt muss rasch ein Nachfolger gefunden werden. Von einem Kommunikationschaos sprechen einige Parteigranden. Manchen Genossen hat der 52-Jährige nicht einmal am Dienstagvormittag die Wahrheit verraten. „Ich habe ihn auf das Gerücht angesprochen. Als Antwort bekam ich einen typischen Kern-Satz. Er bestätigte nicht, sondern sagte nur, es gibt Überlegungen von seiner Seite“, sagt ein SPÖler.
Der einzige, der sich sofort hinter Kern stellte, ist Peter Kaiser: „Kern hat meine unumwundene Unterstützung als EU-Spitzenkandidat.“ Vielleicht war der Kärntner Landeshauptmann als einer der wenigen eingeweiht. War Kern doch am Samstag am Wörthersee.