Wie sich die EU doch noch zu Weißrussland-Sanktionen durchrang
Mit der forschen Forderung nach Sanktionen gegen die Türkei war Kanzler Sebastian Kurz in den EU-Sondergipfel gegangen. An dessen Ende am Freitag äußerte sich Kurz auch über ein weitaus weniger konkretes Ergebnis „hochzufrieden“: Darüber, „dass die EU erstmals Sanktionsdrohungen beschlossen hat“.
Weiter reichte der Minimalkompromiss nicht, auf den sich die 27 europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel geeinigt haben. Im Dezember will der Gipfel noch einmal beraten: Hat sich die Türkei dann nicht weitgehend aus den – aus der Sicht der EU – illegalen Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer zurückgezogen, könnten tatsächlich Sanktionen folgen.
Mit diesem Angebot späterer, möglicher Strafmaßnahmen gegen Ankara lockten die Gipfelteilnehmer Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis. Dieser zeigte sich zufrieden und gab im Gegenzug sein Veto gegen Weißrussland-Sanktionen auf.
Endlich einstimmig konnte der EU-Gipfel schließlich in der Nacht auf Freitag ein wenig weltpolitische Handlungsfähigkeit zeigen: Grünes Licht für Strafmaßnahmen gegen das autokratische Regime in Minsk. 40 Personen und Regierungsvertreter im engsten Umfeld von Präsident Alexander Lukaschenko werden mit Einreisesperren in die EU belegt, ihre Konten eingefroren. Der Name Lukaschenkos steht nicht auf der Liste. Denn dies, so meinte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, würde den Diktator nur darin bestärken, keine Gespräche mit der Opposition in Weißrussland zu beginnen.
Ein gewaltiger inner-europäischer Kraftakt war nötig, um die Sanktionen auf den Weg zu bringen. Ob diese ebenso gewaltige Wirkung zeigen werden, ist längst nicht sicher: Ihre ersten Sanktionen verhängte die EU gegen Minsk schon 2004 – nachdem zwei Oppositionelle für immer verschwanden. Später folgte ein Waffenembargo und Sanktionen nach der auch schon 2010 getürkten Präsidentschaftswahl. Letztere wurden vor vier Jahren beendet, als sich ein kurzes politisches Tauwetter in Minsk abzeichnete.
Neuauflage
Die Mittel, zu denen die EU jetzt greift, sind eine Neuauflage eben jener zwischenzeitlich abgeschafften Strafmaßnahmen. Wirtschaftssanktionen sind nicht vorgesehen.
Ist die Europäische Union nun dank der Sanktionen gegen Weißrussland und der einhelligen Drohungen gegen die Türkei damit schon „weltpolitik-fähiger“ (wie es Ex-EU–Kommissionschef Juncker stets gefordert hatte)? Kanzler Kurz mag diesen Begriff nicht: „Die EU hat internationales Gewicht. Sie sollte ihre Rolle oft stärker wahrnehmen, klarer agieren und rote Linien aufzeigen, wo es notwendig ist. Da gibt es noch Luft nach oben.“