We love Boris! Warum die Briten Johnson gewählt haben
Von Evelyn Peternel
Das Bild, mit dem Boris Johnson auf Twitter seinen Wahlsieg feiert, ist so unverfroren wie absurd. Die Krawatte zu lang, das Hemd nur halb in die Hose gesteckt, die Haare strubbelig; da steht ein britischer Konservativer, der nicht aussieht wie einer. Und dazu das Setting: Eine nordenglische Baugrube, Dreck, Bauarbeiter mit Helmen.
Boris Johnson lacht darauf, streckt den Daumen in die Höhe, und die Arbeiter halten ein Schild: "We love Boris!"
Das Bild illustriert die Unverfrorenheit des Boris Johnson: Er ist der erste Tory, der im englischen Norden die "red wall" durchbrochen hat – also jene Wahlbezirke für die Konservativen holen konnte, die teils seit den 1930ern fest in Labour-Hand waren. Selbst der Wahlbezirk von Tony Blair, seit 1935 fest in Labour-Hand, wanderte zu den Tories. Und das feiert er mit einer Attitüde, die gänzlich unbritisch und unkonservativ wirkt.
Wie das geht?
Wohl, weil für ihn "andere Regeln gelten als für andere", wie einige seiner Weggefährten in dem Dokumentarfilm "Boris Johnson: The Irresistible Rise" sagen. Da gibt es die Episode, wo er als Londoner Bürgermeister von einem TV-Journalisten bei einem gemeinsamen Radausflug auf das sündteure, aber nicht funktionierende Leihradsystem in der Hauptstadt angesprochen wird – und einen Lachanfall bekommt. Der Reporter lacht mit. Oder die Szene, wo von seinem Schultheaterauftritt erzählt wird, bei dem er einfach keinen Text lernen wollte. Er hielt sich einen Polster vors Gesicht, las dahinter den Text ab – und wurde für sein kühnes Schauspiel heftig bejubelt.
Ich, ich, ich
So ähnlich verhält es sich heute auch, sagen die, die ihn gut kennen. Seine Mutter, die Malerin Charlotte Johnson-Wahl, erzählt in jenem Film, dass er bereits als Kind ziemlich eindeutige Vorstellungen von sich selbst hatte. Was er werden wolle, habe sie ihn gefragt. Boris darauf: König der Welt!
Seine Familie nennt ihn Al, nach Alexander - Alexander dem Großen. Dass das passt, bestätigt auch Sonia Purnell, eine Kollegin Johnsons in seiner Zeit als Journalist in Brüssel; sie hat später auch eine Biographie über ihn geschrieben. Er sei "die rücksichtsloseste, ehrgeizigste Person" gewesen, die sie jemals kennengelernt haben. Und dazu nicht verwirrt, sondern bestens organisiert – ein Chaot aus Kalkül also.
Das ist die zweite Zutat im Boris-Johnson-Erfolgsrezept: Hinter dem Polit-Clown, dem Groucho Marx des britischen Unterhauses, steckt ein schlauer Stratege, der durchaus weiß, was er tut. Nicht umsonst existieren Bilder, wo er seinen blonden Wuschelkopf absichtlich durcheinanderbringt.
"Ich glaube nicht, dass er an irgendetwas anderes glaubt als an sich selbst und seine eigenen Ambitionen", sagt ein langjähriger Bekannter von Boris Johnson dem New Statesman. Tory-Chairman Chris Patten sagte der Zeit: "Fakt ist, seine Prinzipien sind so flexibel, dass er fast alles tun kann."
Das Gegenteil von Thatcher
Und wieso fliegen die Briten genau auf diese Attitüde?
"Boris bringt die Leute dazu, sich gut zu fühlen", sagt Ken Livingstone, den Johnson 2008 als Bürgermeister von London beerbte. Eine der Erklärung der britischen Medien lautet demnach auch: Johnson ist einer, der den Leuten nahesteht – ungeachtet dessen, dass er ein Eton-Zögling ist und aus reichem Hause stammt.
Dass er die Partei der Reichen in den Armenhäusern des Landes auf Platz eins gehievt hat, ist demnach seiner Bodenständigkeit und Selbstironie zu verdanken. Und der Tatsache, dass er als Chef der Konservativen irgendwie das Gegenteil dessen ist, was etwa eine Margaret Thatcher ausgemacht hat – er ist nicht steif, er ist geradezu unseriös. Das macht es ihm offenbar leicht, den Leuten Dinge zu erzählen, die oft nur entfernt mit der Wahrheit zu tun haben. Danach gibt er den Schelm; und die Sache ist vergessen.
Klare Botschaft
Das ist allerdings nur der eine Teil der Wahrheit. Denn viele Briten haben Johnson gewählt, obwohl sie ihn nicht besonders mögen. Es gibt da diese höchst unterhaltsame Szene aus seiner Kampagne, als er bei einer Dame anklopft und fragt: "Würden Sie sich als konservative Wählerin sehen?" Die Dame sagt lachend "nein". Ob sie ihn denn wählen würde? Wieder lachend: "Ja."
Es ist somit auch ein Paradoxon, dass sich viele Nicht-Konservative für ihn entschieden haben. Das hat mit zwei Dingen zu tun: Mit seiner radikal-populistischen Kampagne, die von vorne bis hinten durchchoreographiert war, und die den Menschen eine klare Botschaft versprochen hat, und zwar den Brexit endlich hinter sich zu bringen – und mit der Schwäche der Labourpartei, die dem einfach nichts Konkretes entgegensetzen konnte.
Ausgedacht hat sich den "Get Brexit Done"-Slogan Johnsons Chefberater Dominic Cummings. Dessen Erzählung: Boris ist der einzige, der wirklich für einen geraden Weg steht – ganz im Gegensatz zu allen anderen, die dem Establishment angehören und noch mit der EU liebäugeln. Das ist aufgegangen. Dass Jeremy Corbyn sich nicht und nicht auf eine eindeutige Linie in puncto Brexit festlegen wollte, spielte Johnson in die Hände. Dazu hatte sich fast die gesamte Presse auf Corbyn eingeschossen – der Altlinke wurde so zum besten Wahlhelfer Johnsons.
Britischer Humor
Geholfen hat Johnson freilich auch der gute, alte britische Humor. Dass bei der Wahl auch Elmo aus der Sesamstraße und Lord Buckethead, eine Monty-Python-Figur, bei der Wahl antraten, ist auch eine britische Eigenheit – die Briten lieben ihre Scherzkandidaten. Nicht, dass Johnson ein solcher ist; aber sein Humor und seine Selbstironie haben ihm sicherlich geholfen. Wie sagte er heute bei seiner ersten Rede: "Let's get Brexit done. But first let's get breakfast done." Und die Lacher waren wieder auf seiner Seite.