US-Justiz betritt Neuland: Anklage gegen Donald Trump
Von Dirk Hautkapp
Alvin Bragg wartete nicht lange, bis er die historische Entscheidung offiziell beglaubigte.
Der New Yorker Bezirksstaatsanwalt nahm nach der Abstimmung der von ihm einberufenen Geschworenen-Jury über eine Anklageerhebung im Fall von Schweigegeld-Zahlungen an einen Porno-Star durch Donald Trump am Donnerstagabend umgehend Kontakt mit den Anwälten des ehemaligen Präsidenten auf.
Ziel: Koordination der Überstellung des prominenten Beschuldigten von seinem Florida-Domizil Mar-a-Lago nach Manhattan, wo ihn schon am kommenden Dienstag die offizielle Anklage-Erhebung erwarten könnte. Erst dann werden in vollem Umfang die exakten Gründe öffentlich, die Bragg zu diesem außergewöhnlichen Schritt gebracht haben.
Zuvor hatten Trumps Verteidiger in diesem Fall, Susan Necheles und Joseph Tacopina, die drohende Anklage gegen ihren Mandanten bereits gegenüber US-Medien bestätigt. Ihr Petitum: "Er hat keine Verbrechen begangen. Wir werden diese politische Verfolgung vor Gericht energisch bekämpfen."
Die US-Justiz betritt mit der von Trump selbst bereits vor einigen Tagen prophezeiten, aber dann vorerst ausgebliebenen Entscheidung in New York Neuland. Noch nie in der über 200-jährigen US-Geschichte wurde ein ehemaliger Staats- und Regierungschef strafrechtlich derart belangt.
Der Fall gegen Trump
Worum es geht: Staatsanwalt Bragg hat untersucht, ob Trump im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen im Jahr 2016 gegen diverse Gesetze verstoßen hat. Ein Großteil der Ermittlungen stützt sich auf Aussagen von Michael Cohen, ein ehemaliger Trump-Anwalt. Er will auf Trumps Anweisungen insgesamt 280 000 Dollar an die Pornodarstellerin Stormy Daniels und das Playboy-Model Karen McDougal überwiesen haben. Mit beiden soll Trump im Jahr 2006 Affären gehabt haben, was Trump vehement bestreitet. Wären die Affären kurz vor der Wahl 2016 herausgekommen, hätte Trump möglicherweise Wählerstimmen eingebüßt.
Weil Michael Cohen, der später dafür ins Gefängnis ging, für seine finanziellen Dienstleistungen an die Frauen vom Trump-Konzern üppig entschädigt wurde, was unter Anwaltskosten verbucht wurde, könnte die Anklage auf Fälschung von Geschäftsunterlagen hinauslaufen - und auf Verstoß gegen Wahlkampffinanzierungsgesetze. Aber sie kommt spät.
Der Schweigegeld-Fall ist mindestens fünf Jahre alt. Alvin Braggs Vorgänger Cyrus Vance verzichtete auf eine Anklage. Auch das Justizministerium und die staatliche Wahl-Aufsicht (FEC) hatten damals Bedenken. Grund: Schweigegeldzahlungen sind in den USA nicht illegal. Die unsachgemäße Abrechnung von "hush money" erfüllt in New York den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Um die Zahlung zu einem echten Verbrechen (Class E felony) werden zu lassen, müsste der Nachweis geführt werden, dass Trump mit dem verheimlichten Geld an Porno-Star Story Daniels seinem Wahlkampf 2016 quasi eine illegale Spende hat zukommen lassen.
New Yorker Bezirksstaatsanwalt ließ sich Zeit
Auch Alvin Bragg selber war zunächst lange zögerlich. So sehr, dass zwei seiner Top-Ermittler, die Trump unbedingt angeklagt sehen wollten, den Dienst quittierten. Einer davon, Mark Pomerantz, schrieb ein Buch darüber. Warum der New Yorker Chef-Ankläger ausgerechnet jetzt glaubt, den Fall gegen den Präsidenten erfolgreich durchfechten zu können, ist vielen Rechts-Experten nicht ganz ersichtlich. Der Trump zugetane Washingtoner Rechts-Professor Jonathan Turley schließt nicht aus, dass die Anklage zum "Flop" wird.
Erfahren Sie mehr über Alvin Bragg, der Mann, der Trump anklagt.
Trump schlägt aus
In einem wütenden Rundumschlag geißelte Trump, der 2024 zum dritten Mal für das Weiße Haus antreten will, am Donnerstagabend den Schritt gegen ihn als "politische Verfolgung und Wahlbeeinflussung auf dem höchsten Niveau der Geschichte". Tenor: Man wolle ihn, den laut Umfragen unangefochten favorisierten Kandidaten der Republikaner für 2024, aus dem Verkehr ziehen.
Von dem Moment an, an dem er im Juni 2015 "die goldene Rolltreppe im Trump Tower" heruntergekommen sei, um seine erste Präsidentschaftskandidatur anzukündigen, hätten die "radikal linken Demokraten" ihn mit einer "Hexenjagd" überzogen, um die "MakeAmerica Great"-Bewegung zu zerstören, sagte Trump in einer offiziellen Stellungnahme. Bei ihrer "Obsession", ihn "zu schnappen", hätten die Demokraten "gelogen, betrogen und gestohlen". Chef-Ermittler Alvin Bragg warf er vor, die "Drecksarbeit" für den amtierenden Präsidenten Joe Biden zu erledigen.
Die Anklage gegen ihn, so Trump, werde sich für Biden "als Bumerang erweisen". Trump kündigte an, zunächst Bragg zu besiegen und danach 2024 Joe Biden. Im Anschluss werde "jeder dieser betrügerischen Demokraten aus dem Amt geworfen".
Donald Trump bekam von etlichen Top-Republikanern aus Senat und Repräsentantenhaus Unterstützung. Stellvertretend für viele erklärte Steve Scalise, Fraktionschef im "House": "Dieser Betrug der New Yorker Anklage gegen Präsident Donald Trump ist eines der deutlichsten Beispiele dafür, wie extremistische Demokraten die Regierungsverantwortung als Waffe einsetzen, um ihre politischen Gegner anzugreifen."
Ron DeSantis, Gouverneur des US-Bundesstaates Florida und potenziell aussichtsreichster Konkurrent Trumps bei der Präsidentschaftsbewerbung in zwei Jahren, sagte: "Wenn das Rechtssystem als Waffe eingesetzt wird, um eine politische Agenda voranzutreiben, wird die Rechtsstaatlichkeit auf den Kopf gestellt." Das Weiße Haus hingegen verzichtete am Donnerstag auf jeglichen Kommentar.
Der Fahrplan der Anklage
Bis Trump in New York vor den Richter tritt, ist hinter den Kulissen sehr viel Detail-Arbeit zu erledigen. Wann muss Trump mit dem Flugzeug nach New York kommen? Welche Route wird der Sicherheitskonvoi in die Stadt nehmen? Wann wird der Secret Service, der Trump rund um die Uhr Personenschutz gewährt, einen Sicherheits-Check des weitläufigen Justiz-Gebäudes an der Centre Street im Süden Manhattans durchführen? Was wird unternommen, um die von Trump durch einen Aufruf an seine Anhänger heraufbeschworene Gefahr von gewalttätigen öffentlichen Protesten gegen den Staat einzudämmen? Wie wird das alles mit der New Yorker Polizei koordiniert?
Sind diese Fragen beantwortet, zeichnet sich nach Angaben aus Justiz-Kreisen in Washington und New York, die naturgemäß vorläufig sind und die Unberechenbarkeit Trump nicht voll erfassen können, dieses Prozedere ab:
Nach dem Mehrheitsbeschluss zur Anklage-Erhebung wird ein formales Schreiben (indictment) aufgesetzt, das der Vor-Mann/die Vor-Frau der Jury unterschreibt. Es wird katalogisiert, ins Computer-System der Justiz eingespeist. Trump hat ab dann ein Aktenzeichen.
Die konkreten Anklage-Vorwürfe, die den Geschworenen hinter verschlossenen Türen vorher detailliert auseinandergelegt wurden, werden versiegelt.
Die breite Öffentlichkeit erfährt darüber bis zum "Arraignment" mit einiger Wahrscheinlichkeit so gut wie nichts. Erst bei der offiziellen und öffentlichen Anklage-Verlesung vor einem Richter wird definitiv klar, welche Straftaten die Ankläger Trump vorwerfen. Das kann von einer Ordnungswidrigkeit bis zur echten Straftat gehen. Dieser Schlüssel-Termin könnte, wie Trumps Anwälte US-Medien bestätigt haben, noch vor Ostern nächste Woche stattfinden.
Er setzt voraus, dass Donald Trump auf Fisimatenten verzichtet. Würde er sich weigern, müsste formal der Gouverneur des Bundesstaates Florida, wo Trump lebt, die Überstellung Trumps nach New York veranlassen. Das wäre pikant. Ron DeSantis ist der zurzeit stärkste Rivale Trumps im Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur 2024.
Da Trumps Anwälte aber am Donnerstagabend erneut bekräftigt haben, dass sich der Ex-Präsident den Behörden stellen will, wird diesem Szenario im Moment kaum Bedeutung beigemessen.
Justiz will kein Blitzlichtgewitter
Unmittelbar vor der Anklage-Verlesung müsste Trump, um der sonst üblichen Verhaftung zu entgehen, persönlich im Justizgebäude erscheinen, seine Personalien aufnehmen lassen, Fingerabdrücke abgeben und für die offiziellen "Mug-Shots" (Kartei-Fotos) in die Kamera gucken.
All das würde sehr wahrscheinlich ohne Blitzlichtgewitter über die Bühne gehen können. Die Justiz, heißt es, "will keinen Zirkus". Was Trump will, weiß man nicht so genau. Gegenüber Vertrauten soll er zuletzt Sympathie für die Vorstellung bekundet haben, vor den Augen der Welt-Öffentlichkeit mit breiter Brust ins Gefecht gegen eine "korrupte Justiz" zu ziehen. Den so genannten "perp walk" (in Handschellen) vor Tausenden Schaulustigen will Staatsanwalt Bragg ihm nicht gewähren.
Vor dem Richter haben die Anwälte Trumps, dem vorher das Recht zu schweigen erklärt wird, beim "Arraignment" die Gelegenheit, ihren Mandanten auf unschuldig plädieren zu lassen.
Weil keine Fluchtgefahr besteht (Trump ist Präsidentschaftskandidat für 2024) und bei den in Rede stehenden Delikten keine üMenschen zu Schaden kamen, müsste Trump bis zum Prozessbeginn nach dem Gesetz keine Kaution hinterlegen. Er käme unmittelbar nach dem offiziellen Akt frei, könnte seinen Präsidentschaftsvorwahlkampf fortsetzen und mit dem Etikett des Angeklagten weitere Millionensummen als Spenden einnehmen.
Die offizielle Anklage bedeutet nicht automatisch und schon gar nicht kurzfristig einen öffentlichen Prozess. Sie kann auch wieder zurückgezogen werden. Vor allem die Trump-Seite wird versuchen, eine mögliche Gerichtsverhandlung herauszuzögern. Käme sie zustande, ist alles denkbar: Freispruch, Verurteilung auf Bewährung, zu Geldbuße oder Gefängnis. Sollte letzteres passieren, könnte Trump trotzdem für das Weiße Haus kandidieren. Die Verfassung schiebt verurteilten Straftätern in dem Trump zur Last gelegten Tatspektrum auf dem Weg zum Weißen Haus keinen Riegel vor.