Thüringen, zweiter Akt: Ramelow macht wieder weiter
Fast hätte es an diesem Mittwoch wieder keinen thüringischen Ministerpräsidenten gegeben. Der Coronaverdachtsfall in der CDU-Fraktion erwies sich am Vorabend doch als negativ. Andernfalls hätte man die Wahl verschoben.
Also geht es ab 14 Uhr erneut los. Bodo Ramelow, der sonst meist einen lockeren Spruch auf den Lippen hat, lächelt anfangs in die Kameras, kann sein angestrengtes Gesicht aber nicht lange verbergen. Er nickt bloß, als er beim ersten und zweiten Wahlgang durchfällt.
Einen Monat ist es her, seit das 2,1 Millionen-Einwohner-Bundesland über Deutschland hinaus Bekanntheit erlangte – mit einem durch die Stimmen von AfD, CDU und FDP gewählten Ministerpräsidenten, der um einen Punkt vor dem amtierenden Bodo Ramelow lag. Landesweit gab es Proteste, in Berlin folgte ein politisches Beben.
Thüringen war plötzlich überall, das wirkt nach. Auch an diesem Mittwoch wenige Stunden vor der Wahl. Über die politischen Verhältnisse mag keiner wirklich gerne reden. Er hat ein ungutes Bauchgefühl und glaubt nicht, dass es zu einer Lösung kommt, sagt ein Händler am Erfurter Marktplatz, auch wenn er sich das wünscht. Es ist ihm unangenehm, dass Thüringen nun jeder wegen des Polit-Chaos kennt. Der Besitzer eines Kiosk in der Innenstadt bleibt wortkarg. Nur so viel: "Vielleicht haben wir heute wieder einen Ministerpräsidenten, vielleicht auch nicht."
Was sie wollen bzw. nicht wollen, machen einige Demonstranten vor dem Landtag deutlich. Sie schwenken Fahnen und skandieren laut gegen Nazis. Auf einem überdimensionalen Banner steht "Still my Ministerpräsident", daneben Ramelow in Obama-Optik. Die Trillerpfeifen hört man bis in den Sitzungssaal hinein.
Dort hat nicht nur Ramelow Sorgenfalten im Gesicht; der umstrittene Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) sitzt mit ernster Miene auf seinem Platz, knetet seine Hände. Die Liberalen gehen nicht zur Wahl. Die AfD, die diesmal ihren Rechtsaußen Björn Höcke als Gegenkandidaten stellt, gibt ihm geschlossen die Stimmen. Ramelow erhält sie von seinen Koalitionspartnern Grüne und SPD. Die CDU enthält sich ihrer Stimme, das habe sie zuvor mit Ramelow abgeklärt.
Das Dilemma der CDU
Denn die Beschlusslage der Bundes-CDU vom Parteitag 2018 ist klar: Es darf keine Zusammenarbeit mit der AfD oder Linken geben. Allerdings sieht die politische Realität in den ostdeutschen Bundesländern teils anders aus, klagen die dortigen Verbände. Nicht nur, dass es Vertreter gibt, die sich eine Öffnung in die eine oder andere Richtung vorstellen können, es stellt den parlamentarischen Alltag vor Herausforderungen – in den Gemeinden und zuletzt im Thüringer Landtag.
Neuwahlen ab 2021
Harsche Worte richtet er hingegen an die AfD („Brandstifter“) und verweigert Björn Höcke später den Handschlag. Dieser habe sich nach der Wahl des FDP-Politikers damit gebrüstet, dem Politiker eine „Falle“ gestellt zu haben, erklärt er. Erst wenn Höcke die Demokratie verteidige und nicht Demokraten Fallen stelle, werde er ihm die Hand schütteln.
Ausgangslage
Bodo Ramelow (Die Linke) stellt sich am 5. Februar zur Wiederwahl als Ministerpräsident. Im Gepäck: eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung
FDP-Mann vor Ramelow
Er tritt gegen einen AfD-Kandidaten an. Im 3. Wahlgang wird Thomas Kemmerich aufgestellt, dessen FDP bei der Wahl fünf Prozent erreichte. Er erhält um eine Stimme mehr als Ramelow, auch von CDU und AfD, die ihren Kandidaten fallen lassen – eine Finte. Kemmerich wird vereidigt, in vielen Städten gibt es Protest
Berlin schaltet sich ein
Nach heftiger Kritik kündigt Kemmerich seinen Rücktritt an. Kanzlerin Merkel kritisiert die Wahl als „unverzeihlich“. In den Berliner Zentralen von FDP und CDU hat das Chaos ein Nachspiel: CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer wird ihren Parteivorsitz abgeben. Beide Parteien verlieren Wochen später bei der Hamburg-Wahl