Politik/Ausland

Schlüsselfrage beim EU-Gipfel: Wer kontrolliert wen?

Der dritte Gipfeltag der 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel ist wohl der entscheidende. Einige große Meilensteine wurden bereits gesetzt. „Die verschiedenen Themen - die Größe des Wiederaufbaufonds, die Art der Steuerung und auch die Fragen der Rechtsstaatlichkeit sind jetzt gut aufgearbeitet“, sagte die deutsche Kanzlerin vor Beginn der Verhandlungen am Sonntag.

EU-Ratschef Charles Michel hatte den Sondergipfel noch um einen Tag verlängert, um über Nacht einen neuen Kompromissvorschlag auszuarbeiten.

Dennoch hält Merkel ein Scheitern des EU-Sondergipfels für das geplante Milliarden-Wiederaufbaupaket in der Corona-Krise  weiter für möglich. „Ob es zu einer Lösung kommt, kann ich nach wie vor nicht sagen“, sagte die deutsche Kanzlerin. „Es gibt viel guten Willen. Aber es gibt auch viele Positionen. Und so werde ich mich mit dafür einsetzen. Aber es kann auch sein, dass es heute zu keinem Ergebnis kommt“, fügte sie hinzu.

Durchaus optimistisch hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz gestern den Stand der Verhanldungen beurteilt: „Ein zähes Ringen, ein angestrengtes Verhandeln aber mit Bewegung in die richtige Richtung“, konstatierte Kurz.

Diese Richtung, die gestern mit einem neuen Vorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel vorgegeben wurde, ging klar hin zu den „sparsamen vier“ – Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden. „Und es wird noch weitere Vorschläge in diese Richtung geben“, war sich Kurz sicher.

Die vier „sparsamen“ Regierungschefs hatten stets gefordert: 750 Milliarden Euro für einen Wiederaufbaufonds seien zu viel. Und dass 500 Mrd. davon Zuschüsse sein sollen, wurde ebenfalls heftig zurückgewiesen. Von diesem Punkt würden die vier keinesfalls abweichen, hatten sie bereits am Freitag klargemacht.

Worauf der EU-Ratspräsident tags darauf vorschlug: Die Summe der geplanten Zuschüsse soll auf 450 Mrd. gesenkt werden. Kurz begrüßte dies in einer Verhandlungspause erfreut, pocht aber auf eine weitere Senkung. Auch das Gesamtvolumen des Fonds, für das sich die EU erstmals gemeinsam in riesigem Ausmaß verschulden wird, bezeichnet der Kanzler noch immer als zu hoch.

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Bessere Stimmung

Doch die Stimmung am zweiten Gipfeltag hatte sich eindeutig gebessert. In kleinen und großen Verhandlungsrunden wurden Standpunkte ausgetauscht, aber auch rote Linien gezogen. Die wichtigsten Fäden liefen bei Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel zusammen. Immer wieder bat sie, zusammen mit Frankreichs Präsident Macron, zu gesonderten Gesprächen. Und so kamen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs im Lauf der Marathonverhandlungen einander deutlich näher.

Doch der größte Knackpunkt blieb die Frage: Wer kontrolliert, wohin die zu vergebenden Hilfsmilliarden fließen werden? Und braucht es einen Mechanismus, um Auszahlungen notfalls wieder zu stoppen? Als Hardliner erwies sich dabei der niederländische Premier Mark Rutte, der mit seiner Forderung vor allem die südeuropäischen Regierungschefs empörte.

Voraussetzung dafür, dass ein Land Zuschüsse erhält, ist das Vorlegen eines nationalen Investitionsplans vorlegen. Rutte hatte darauf bestanden, dass jedes Land Veto einlegen darf, wenn es diesen Plan als unzureichend erachtet.

Der Gedanke dahinter: So wollte Rutte sicherstellen, dass die Milliardenhilfen genau kontrolliert werden. Denn die große Sorge der Nettozahlerstaaten ist, dass ihre Steuermilliarden in die Budgetlöcher der Empfängerstaaten fließen. Oder noch schlimmer: durch Korruption versickern. Doch gegen diese Veto-Forderung Ruttes rebellierten die meisten anderen EU-Regierungschefs. „Völlig unpraktikabel“ sei das, sagte ein EU-Beamter. Das hätte jedem Staat das Recht gegeben, in den anderen hineinzuregieren. Kurz bezeichnet diese Vorgabe seines „sparsamen“ Verbündeten als „ambitioniert“, geht aber davon aus, dass sich ein anderer Kontrollmechanismus ausverhandeln lasse. Priorität für ihn ist: „Wenn es um die Gelder der europäischen Steuerzahler geht, haben sie das Recht, dass streng kontrolliert wird.“

Eine Notbremse

Das Kompromissangebot von EU-Ratspräsident Michel sah dann vor: Ein Mitgliedstaat kann bei Zweifeln den EU-Ratschef einschalten. Der beauftragt dann die EU-Finanzminister oder die EU-Regierungschefs mit einer Prüfung.

Überraschend wenig Diskussionen gab es beim Gipfel über die Veto-Drohung von Ungarns Premier Viktor Orban. Dieser wehrt sich vehement gegen Pläne, dass EU-Subventionen künftig gestrichen werden, wenn das Empfängerland gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt. Manche Gipfelteilnehmer, so war zu hören, erachteten Orbans Drohung als „Bluff“.